Guter Schall- und Brandschutz, wenig Dämmung

Aus dem Boden gestampft: Was Sie beim Bauen mit Lehm beachten sollten

Stuttgart/Weimar. Auf den ersten Blick ist das Außergewöhnliche kaum zu erkennen: Das mehrgeschossige Gebäude, das in einem neuen Wohnquartier in Heilbronn entstehen soll, fügt sich nahtlos in die Umgebung ein. Doch der prämierte Entwurf des Stuttgarter Architektenbüros haas cook zemmrich unterscheidet sich fundamental von den geplanten Nachbargebäuden und stellt eine Pionierleistung in Deutschland dar: Denn die Fassade soll aus Stampflehm hergestellt werden.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Lehm ist seit alters her einer der wichtigsten Baustoffe – auch hierzulande. „Etwa ein Drittel der Menschheit lebt heute in Häusern aus Lehm“, heißt es in einer Infobroschüre des Dachverbands Lehm. In Deutschland gibt es noch ungefähr zwei Millionen Gebäude, in denen Lehm verarbeitet wurde, darunter viele alte Fachwerkhäuser. Auch unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg wurde mit Lehm gebaut. Doch dann setzten sich industrielle Bauweisen vor allem mit Beton durch.

Klima-Check

Erhalten Sie den Newsletter mit den wichtigsten News und Hintergründen rund um den Klimawandel – jeden Freitag neu.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Lehm ist ein Nischenprodukt

Einige Jahrzehnte lang war der Baustoff Lehm fast vergessen. Aber spätestens seit den 1980er-Jahren erlebte er eine Renaissance, weil es eine Rückbesinnung auf das ökologische und nachhaltige Bauen gab, sagt Stephan Jörchel, Geschäftsführer des Dachverbands Lehm: „Lehmbaustoffe sind regional verfügbar, haben einen geringen CO₂-Fußabdruck, sind gesundheitlich unbedenklich und zu 100 Prozent recyclingfähig.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Noch immer handele es sich bei Lehm allerdings um ein Nischenprodukt, das kaum im Investorenbau eingesetzt werde, erklärt Johannes Kreißig, geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Aber steigende Anforderungen an Nachhaltigkeit beim Wohnungsbau machen den Baustoff zunehmend attraktiv. Denn künftig rückt neben dem Energieverbrauch des Hauses auch seine ressourcenschonende Konstruktion in den Fokus.

Vielfältiger Baustoff

Lehm kann beim Hausbau fast überall eingesetzt werden. Weil das Material leicht Wasser aufnimmt, muss es im Außenbereich gegen Feuchtigkeit geschützt werden. „Die Faustformel lautet: Trockener Fuß und großer Hut“, sagt Jörchel. Ratsam sind ausladende Dachüberstände und Fundamente etwa aus Beton oder Naturstein. Außenwände sollten einen mindestens 50 Zentimeter hohen Sockel erhalten, der gegen Spritzwasser geschützt ist. Horizontale Sperren in der Gründung verhindern, dass Feuchtigkeit in der Wand aufsteigen kann.

Der Baustoff kann auf verschiedene Art und Weise verarbeitet werden. Sehr aufwendig, aber optisch reizvoll ist es, Lehm zwischen Schalungen zu stampfen. Dort wird er verdichtet, anschließend kann die Schalung abgenommen werden, und die Wand muss nur noch austrocknen. Wird verschiedenfarbiger Lehm verwendet, entsteht eine interessante Musterung. Auf diese Weise wurden zum Beispiel die zwölf Meter hohen Außenwände des Alnatura-Campus in Darmstadt gebaut. Der Lehm stammte aus dem Erdaushub für den neuen unterirdischen Bahnhof in Stuttgart.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige
Baustoff aus der Erdkruste

Lehm findet sich im obersten Bereich der Erdkruste, es handelt sich dabei um ein Verwitterungsprodukt fester Steine. Es gibt viele Arten von Lehm, nicht jede ist zum Bauen geeignet. Eine Normierung als Baustoff war deshalb lange Zeit schwierig, inzwischen sind aber viele standardisierte Lehmbauprodukte erhältlich. Weil das Material in vielen Regionen Deutschlands ausreichend vorhanden ist, entfallen lange Transportwege. Da Lehm mit Wasser geschmeidig gemacht werden kann, ist der Baustoff leicht zu verarbeiten. Traditionell wurde er mit gehäckseltem Stroh vermischt. Um das Material witterungsbeständiger zu machen, wurden zum Beispiel Harnsäure und Eiweiße hinzugegeben.

„Das Raumklima ist mit Lehmputz phantastisch“

Wände können auch mit Lehmsteinen gemauert werden. Eine Alternative für innenliegende, nicht tragende Wände sind Lehmplatten, die in Mörtel verlegt oder geklebt werden. Leichtlehmplatten werden an einer Unterkonstruktion aus Holz oder Metall befestigt und enthalten organische Faserstoffe wie Schilfrohr, die für Stabilität sorgen. Aus Lehm können zudem Vorsatzschalen gebaut werden. Traditionell werden mit dem Material Felder im Fachwerk gefüllt. Auch als Wandputz kommt Lehm zum Einsatz. Weil das Material den Feuchtigkeitsgehalt in der Luft besonders gut reguliere, könne mitunter auf Entlüftungstechnik verzichtet werden, erläutert Kreißig: „Das Raumklima ist mit Lehmputz phantastisch.“

Er sieht gerade im Ausbaubereich große Chancen und Möglichkeiten für Lehm: „Da brauche ich die Festigkeit von Zement nicht.“ In Lehmwänden können grundsätzlich problemlos Leitungen verlegt werden – auch Heizschlingen für Wandheizungen. Im Bad und in der Küche muss allerdings darauf geachtet werden, dass der Lehm nicht mit fließendem Wasser in Berührung kommt. Ausreichenden Schutz bieten zum Beispiel Fliesen, die auf einen mit mineralischen Produkten behandelten Untergrund verlegt werden. Damit Wandschränke und andere Elemente an einer Lehmwand gut halten, sollten sie beispielsweise an einem Tragholz in der Wand befestigt werden.

Guter Schall- und Brandschutz

Lehmbaustoffe bieten einen guten Schall- und Brandschutz und speichern Wärme hervorragend. Die Dämmeigenschaften sind allerdings gering, sodass in der Regel an außenliegende Wände eine Dämmschicht angebracht werden sollte. Das Material absorbiert Gerüche, filtert Schadstoffe, schirmt hochfrequente Strahlung ab und konserviert Holz. Unter anderem deshalb sind die beiden Baustoffe gut kombinierbar.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Grundsätzlich unterliegen alle Lehmbaustoffe denselben bauphysikalischen Anforderungen wie andere mineralische Baustoffe und müssen verschiedene DIN-Normen erfüllen. Derzeit sei das Bauen mit Lehm grundsätzlich zweigeschossig möglich, erläutert Jörchel. „Alle darüber hinausgehenden Bauvorhaben bedürfen einer Zulassung im Einzelfall.“ Das soll sich bald ändern: Eine neue Norm ermöglicht generell auch tragenden Geschosswohnungsbau.

Besondere Planung nötig

Bauen mit Lehm erfordert in vielerlei Hinsicht eine besondere Planung und Vorgehensweise: So können weitere Arbeitsschritte erst nach langen Trocknungszeiten erfolgen, weil das Material sozusagen schrumpft. Zwar lassen sich Lehmwände anstreichen und verkleiden, aber meist wird der natürliche, warme Farbton geschätzt. Reine Lehmwände besitzen einen unverwechselbaren Charakter, auf ihnen bilden sich keine Algen und Moose. Um zu verhindern, dass sie verwittern und im Laufe der Jahrzehnte ausdünnen, können horizontale Erosionsbremsen etwa aus Ton oder Kalk eingezogen werden.

„Bauen mit Lehm muss nicht teurer sein als herkömmliches Bauen mit konventionellen Baustoffen“, sagt Jörchel. Die Kosten etwa für Stampflehmwände könnten allerdings höher liegen – nicht zuletzt deshalb, weil dafür sehr viel Arbeitskraft benötigt wird. Erschwerend kommt hinzu, dass es nicht viele Handwerksbetriebe gibt, die das Bauen mit Lehm beherrschen.


Mehr aus Bauen & Wohnen

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken