Gegenpol zur Digitalisierung: Das können Kinder in Schulgärten lernen
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Zusammenhänge verstehen: Theoretisches und praktisches Wissen verbindet sich beim Gärtnern.
© Quelle: imago stock&people
Ein Beet umgraben, Kräuter anpflanzen oder den Kompost auf Würmer untersuchen: Für Kinder, die in Thüringen zur Schule gehen, gehört das zum Fach „Schulgarten“, das dort standardmäßig auf dem Stundenplan steht. In allen anderen Bundesländern ist das nicht der Fall, denn Bildungspolitik ist Ländersache. „Dort fällt ein Schulgarten unter ‚nice to have‘“, sagt Birgitta Goldschmidt, die im Vorstand der Bundesarbeitsgemeinschaft Schulgarten (BAG) sitzt und seit zehn Jahren als freiberufliche Schulgartenreferentin und ‑beraterin arbeitet.
Statistiken, bei denen Zahlen rund um Schulgärten für ganz Deutschland erfasst werden, gibt es nicht. Genauso wenig wie einheitliche Vorgaben, welche Merkmale ein Schulgarten erfüllen muss. Entsprechend groß sei die Bandbreite, sagt Goldschmidt: „Das reicht von einem bepflanzten Kübel auf dem Schulhof bis hin zu einem Hektar Fläche.“
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Das Interesse hat stark zugenommen
Insgesamt schätzt die Expertin, dass etwa die Hälfte der deutschen Schulen in irgendeiner Form schulgärtnerisch aktiv sei. Sicher ist zudem, dass ihre Zahl steigt: „Wir stellen fest, dass das Interesse an Schulgärten in den letzten zehn Jahren massiv zugenommen hat. Spätestens seit der breiten gesellschaftlichen Debatte über Nachhaltigkeit und Klimaschutz ist die Forderung und Erwartung an Bildungseinrichtungen da, entsprechende Angebote zu machen.“
Die Idee, einen Garten zum Lehren und Lernen anzulegen, ist nicht neu. Schon der persische König Kyros II., der um 550 vor Christus regierte, soll Lehrgärten angeregt haben, um Schüler in Obst- und Gemüseanbau zu unterrichten. Als erster Schulgarten Deutschlands gilt eine Anlage in Halle (Saale), die 1698 entstand. Es folgten viele weitere, deren Zweck die jeweilige Zeit widerspiegelte. „Bei den ersten Anfängen ging es darum, dass die Kinder Artenkenntnisse gewinnen sollten“, sagt Goldschmidt.
Wie man einen Schulgarten initiiert
Eltern, die sich für die Schule ihrer Kinder einen Garten wünschen, können das Projekt selbst anstoßen. „Erste Infos gibt es bei Netzwerken, die es in vielen Städten gibt“, sagt die Referentin Birgitta Goldschmidt, genau wie beim bundesweiten Tag des Schulgartens, der in diesem Jahr am 14. Juni stattfindet. Darüber hinaus empfiehlt sie, zu schauen, ob der jeweilige Schulträger vielleicht bereits Schulen mit einem Garten hat. Dann sollten Eltern die Lehrkräfte kontaktieren. Ganz wichtig sei, dass das Ganze kein Privatprojekt sei, sondern zumindest ein Teil des Schulpersonals mit dahinterstehe. Nur so entstehe ein dynamischer, gemeinschaftlich gepflegter Ort.
Arbeiten lernen zu DDR-Zeiten
Später entdeckte man die Idee des ganzheitlichen Lernens, mit „Kopf, Herz und Hand“, wie es der Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi ausdrückte. „Zu DDR-Zeiten sollten die Kinder eher das Arbeiten lernen, weil Produktivität einen hohen Stellenwert hatte“, sagt die Referentin. „Und im modernen Kontext geht es darum, dass Kinder einen Sinn für Nachhaltigkeit entwickeln, dass sie mehr draußen sind und sich mehr bewegen.“ Auch für Gesundheits- und Ernährungsbildung und die Resilienzförderung biete ein Garten viel Potenzial.
Im Schulgarten erfahren Kinder theoretisches Wissen auf praktischer Ebene: „Durch forschendes und entdeckendes Lernen gelingt es besser, Zusammenhänge zu verstehen“, sagt die Referentin – etwa, was Würmer im Kompost machen. Darüber hinaus seien die Gärten wichtig für die Wertebildung. „Kinder lernen, vorausschauend zu denken. Sie übernehmen Verantwortung für etwas Lebendiges, bekommen ein Gefühl für Zeithorizonte und dafür, wie sie mit Ressourcen umgehen müssen, damit das Ganze funktioniert.“
Ein Gegenpol zur Digitalisierung
Wichtig sei die Natur zudem als Gegenpol zur zunehmenden Digitalisierung: „Im Garten ist alles real. Es lässt sich nichts überspringen, vorspulen oder wieder rückgängig machen“, sagt Goldschmidt. Geht einmal etwas schief, lernen Kinder, wie sie damit zurechtkommen können – und vielleicht auch, was sie beim nächsten Mal anders machen müssen.
Schulgärten können unterschiedlich gestaltet sein. „Viele Menschen denken erst einmal an Gemüsebeete“, sagt die Beraterin. „Aber möglich sind auch verschiedene Biotope, zum Beispiel eine Wiese, eine Hecke, ein Teich und ein Staudenbeet.“ Meist seien Schulgärten eine Mischung aus allem. „Beim Gemüse sind Kartoffeln der Renner“, sagt die Expertin. Daneben seien Kräuter beliebt, da sie recht pflegeleicht und meistens mehrjährig sind. „Im Kommen sind zudem Wildkräuter“, so Goldschmidt – auch wenn der Trend eher langsam zunehme. „Das liegt daran, dass es den Lehrkräften oftmals noch an Artenkenntnis dazu mangelt. Meist reicht das Wissen zu Wildkräutern nicht über Brennnessel und Löwenzahn hinaus.“
Digitalisierung wichtiger als Gärten?
Häufig gebe es Obst, meist Apfelbäume und Erdbeeren. Diese Arten erfüllen ein wichtiges Kriterium, das bei einem privaten Garten entfällt: Sie sind außerhalb der Sommerferienzeit reif, in der sich meist niemand um einen Schulgarten kümmern kann. In Sachen Naturschutz zählen Wildbienen-Nisthilfen zu den Klassikern, genau wie Blühwiesen, Vogelkästen, Hummelkästen oder eine Igelburg.
Dass nicht jede Schule einen eigenen Garten besitzt, hat verschiedene Gründe. So ist für einen Schulgarten und seine Finanzierung der Schulträger verantwortlich, also zum Beispiel eine Kommune oder ein Landkreis. „Der Schulträger schaut dann ganz genau, was wirklich notwendig oder was gesellschaftlich gefordert ist“, erklärt Goldschmidt. „Letzteres ist im Moment Digitalisierung. Deshalb werden jetzt überall Smartboards aufgestellt.“ Zudem koste es Geld und Zeit, den Garten zu pflegen. „Und das ist allein über AGs, den Unterricht und Elterninitiativen nicht schaffbar.“