Warum Erben die Gesellschaft spaltet

Yannick Haan: „Extremer Reichtum ist mit einer Demokratie nicht vereinbar“

Viele Menschen sprechen nicht über eine Erbschaft, wenn es sich vermeiden lässt, sagt Erbe Yannick Haan.

Viele Menschen sprechen nicht über eine Erbschaft, wenn es sich vermeiden lässt, sagt Erbe Yannick Haan.

Herr Haan, Sie selbst haben vor einiger Zeit geerbt. Was war das für eine Erfahrung?

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Die Erbschaft hat mein Leben sehr stark verändert, weil sie mir eine finanzielle Sicherheit gegeben hat – auch wenn ich keine Millionen oder ein großes Unternehmen geerbt habe. Trotzdem war das in meinem Freundeskreis zunächst überhaupt kein Thema. Mir wurde da erst bewusst: Erben ist etwas, was zunächst im Stillen passiert. Die meisten Menschen sprechen nicht darüber, wenn es sich vermeiden lässt.

Erst als ich mir eine Eigentumswohnung gekauft habe, wurde meine Erbschaft nach außen hin sichtbar. Denn mit meinem normalen Arbeitseinkommen hätte ich mir das nie leisten können. Da habe ich angefangen, mir Fragen zu stellen: Wie kann es sein, dass meine finanzielle Situation plötzlich so anders ist als die meiner Freundinnen und Freunde, obwohl sich sonst eigentlich nichts verändert hat?

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Nun hätten Sie sich ja auch einfach weiter im Stillen über Ihr geerbtes Geld und ihre Eigentumswohnung freuen können – stattdessen haben Sie ein Buch geschrieben, in dem Sie fordern: „Enterbt uns doch endlich!“ Was ist das Problematische am Erben?

In meiner Generation ist ein Phänomen zu beobachten, das es bisher in Deutschland so nicht gab: Wer Vermögen aufbauen will, muss geerbt haben. Anders ist das fast nicht mehr möglich, weil man durch Arbeit allein heute kaum noch reich werden kann. Gleichzeitig werden die Erbschaftssummen etwa seit den 80er-Jahren stetig größer. Derzeit werden in Deutschland pro Jahr zwischen 300 und 400 Milliarden Euro vererbt, Tendenz steigend. Zum Vergleich: Der gesamte Bundeshaushalt liegt bei etwas über 500 Milliarden Euro. Hinzu kommt, dass diese Summen durch den demografischen Wandel immer ungleicher verteilt werden. Früher war es keine Seltenheit, dass fünf bis sechs Geschwister sich ein Erbe geteilt haben. Heute geht das Erbe von zwei Familien, von Mutter und Vater, oft an ein einziges Kind.

Yannick Haan ist SPD-Politiker, Buchautor und Erbe: Er setzt sich für eine höhere Erbschaftssteuer in Deutschland ein.

Yannick Haan ist SPD-Politiker, Buchautor und Erbe: Er setzt sich für eine höhere Erbschaftssteuer in Deutschland ein.

Das Problem ist, dass dadurch das Aufstiegsversprechen gebrochen wird. Unsere Gesellschaft basiert sehr stark auf dem Leistungsgedanken, dass alle es durch eigene Arbeit zu Wohlstand bringen können. Wir sehen nun aber, dass einige reich werden, ohne sich anstrengen zu müssen. Wer nicht aus wohlhabenden Verhältnissen stammt, hat es dagegen sehr schwer aufzusteigen. Im EU-weiten Vergleich liegt Deutschland zusammen mit Ungarn auf dem letzten Platz, was die soziale Mobilität angeht. Wir haben eine festgefahrene Gesellschaft geschaffen. Bei denjenigen, die kaum noch eine Chance auf ein Leben in Wohlstand haben, sorgt das für viel Frustration.

Und Frustration ist bekanntlich Zündstoff für die Gesellschaft. Wird die Ungleichheit dadurch zur Gefahr für die Demokratie?

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Ich glaube, dass die Demokratie und die Vermögensungleichheit, wie wir sie heute haben, nicht lange koexistieren können. Demokratie braucht immer ein gewisses Maß an Gleichheit: Jede Stimme zählt gleich viel, alle können partizipieren, alle werden gehört. Wenn man sich die Situation heute anschaut, dann sind wir ziemlich weit weggekommen von diesem Versprechen der Demokratie. In den Parlamenten sitzen hauptsächlich Menschen aus höheren Gesellschaftsschichten – was die sozioökonomische Herkunft angeht, werden wir also nicht diverser, eher im Gegenteil.

Ich mache mir wirklich Sorgen, dass unsere Demokratie irgendwann auseinanderbricht.

Yannick Haan

Sicherlich hat auch die Polarisierung in der Gesellschaft, die wir seit Jahren beobachten können, zumindest in Teilen damit zu tun, dass die Vermögensungleichheit auf einem Rekordniveau ist.

Was ich fast am beängstigendsten finde: Wenn man sich anschaut, wer eigentlich noch zur Wahl geht, dann sind das vor allem diejenigen, die ein gewisses Einkommen und Vermögen haben. Bei den letzten Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen hatten wir noch Wahlbeteiligungen von knapp über 50 Prozent. Wählen gehen ist die unterste Stufe der Partizipation an der Demokratie und knapp die Hälfte der Bevölkerung sagt: Wir haben keine Lust mehr da mitzumachen, weil wir uns nicht mehr vertreten fühlen. Da mache ich mir wirklich Sorgen, dass unsere Demokratie irgendwann auseinanderbricht.

„Es macht keinen Sinn mehr, 40 Stunden pro Woche zu arbeiten“

Die Berufswelt ist kaputt, wir alle leiden an einem kollektiven Burn-out – das ist die ernüchternde Diagnose der Arbeits­markt­expertin Sara Weber. Sie selbst zog Konsequenzen und kündigte 2021 ihren Job. Was sich ändern muss, damit die Arbeit wieder zum Leben der Menschen passt, erklärt Weber im RND-Interview.

Die Lösung scheint eigentlich auf der Hand zu liegen: eine höhere Erbschaftssteuer. Warum ist es trotzdem so schwierig, das umzusetzen?

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Ein Grund, warum die Erbschaftssteuer so unbeliebt ist, ist, denke ich, dass sie sehr stark ins Private eingreift und dazu noch in einer meist schwierigen Situation: nämlich dann, wenn jemand gestorben ist.

In Gesprächen fällt mir außerdem immer wieder auf, dass die Funktionsweise der Erbschaftssteuer den meisten Menschen nicht bekannt ist und sie deshalb eine Art Abwehrreflex dagegen haben. Viele stellen sich darunter vor, dass der Staat Omas Häuschen wegnehmen will. Das entspricht aber gar nicht der Realität. Das größte Problem sind die ganz hohen Erbschaften, auf die kaum Steuern gezahlt werden.

Yannick Haan: „Enterbt uns doch endlich!“
Trabanten-Verlag, 170 Seiten
ISBN 978-3-98697-010-9
18 Euro

Yannick Haan: „Enterbt uns doch endlich!“ Trabanten-Verlag, 170 Seiten ISBN 978-3-98697-010-9 18 Euro

Warum eigentlich nicht?

Das liegt daran, dass die größten Vermögen in Deutschland Unternehmen sind. Wenn diese vererbt werden, gibt es eine Reihe von Ausnahmen, die dazu führen, dass die Erben nur sehr wenig Steuern bezahlen müssen oder teilweise sogar ganz von der Erbschaftssteuer verschont werden. Das beste Beispiel hierfür ist: Wer drei Wohnungen erbt, zahlt Erbschaftssteuer – erbt man 300 Wohnungen, dann gilt es als Betriebsvermögen und man zahlt keine Erbschaftssteuer.

Kaum ein anderes Land besteuert Arbeit so hoch wie wir und Vermögen so niedrig. Für mich ergibt das überhaupt keinen Sinn, warum wir so verfahren. Deutschland steht weltweit auf Platz drei bei der Anzahl der Milliardäre. Geld bedeutet am Ende auch Macht, und deshalb brauchen wir eine Debatte über diesen Überreichtum. Ich halte so einen extremen Reichtum für nicht mit einer Demokratie vereinbar.

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Abgesehen von höheren Erbschaftssteuern, welche Möglichkeiten gäbe es noch, für mehr Chancengleichheit zu sorgen?

Es gibt zum Beispiel die Idee eines Gesellschaftserbes oder Grunderbes, das jede Person an ihrem 18. Geburtstag ausgezahlt bekommt. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat dafür einen Betrag von 20.000 Euro vorgeschlagen, das wäre über eine moderate Erhöhung der Erbschaftssteuern finanzierbar. Gerade in diesem Alter kann so eine Summe einen erheblichen Unterschied machen – etwa bei der Frage, ob ich vielleicht ein Unternehmen gründen oder ein Praktikum im Ausland machen kann.

Das Grunderbe würden alle bekommen – unabhängig etwa vom Vermögen der Eltern. Das würde eine Beantragung ersparen und das Verfahren unkompliziert machen. Das Grunderbe stünde somit allen zu, würde aber vor allem von den Hochvermögenden bezahlt – damit hätten wir eine wirkliche Umverteilung.

Sie selbst sind in der SPD aktiv. Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung kommt die Erbschaftssteuer nicht vor. Wie wahrscheinlich ist es, dass sich bei dem Thema bald etwas ändern wird?

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Man muss eingestehen, dass bisher alle Parteien das Thema Erbschaften ein bisschen verschlafen haben. Aber in den letzten Jahren nimmt die Debatte immer mehr an Fahrt auf und der öffentliche Druck wächst. Ich habe große Hoffnung in die junge Generation, dort gibt es ein hohes Bewusstsein für die Notwendigkeit nach Veränderung. Mein Eindruck ist: Inzwischen muss man sich eher dafür rechtfertigen, wenn man die jetzige Erbschaftssteuer beibehalten will, als wenn man sie ändern möchte.

Ich glaube, dass das Thema bei der nächsten Bundestagswahl eine viel größere Rolle spielen wird als bisher. Denn es stellt sich immer mehr die Frage, wer für die vielen Krisen bezahlen soll. Und da ist für mich ganz klar, dass die Vermögenden eine hohe Verantwortung haben. Denn hohe Ausgaben, ohne neue Schulden zu machen oder bei den Sozialleistungen zu kürzen – längerfristig kann das nicht funktionieren. Deshalb muss man sich überlegen, ob man nicht besser die Einnahmen erhöht. Und das wird aus meiner Sicht im nächsten Bundestagswahlkampf ein zentrales Thema sein.

Zur Person
 
Yannick Haan

Yannick Haan, Jahrgang 1986, ist Publizist und Vorsitzender der SPD Berlin-Mitte. Er schreibt regelmäßig Gastbeiträge für Tages- und Wochenzeitungen und ist Mitglied der Initiative Tax me now, die sich für mehr Steuergerechtigkeit einsetzt.

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