Vorstellung vs. Wirklichkeit

Wie sehr Mutterideale prägen – und was das für Folgen hat

Mutter und Kind

Mutter und Kind

Mutterschaft gilt noch immer als das größte Glück und die wahre Erfüllung im Leben einer Frau, so empfindet es zumindest die Autorin und Instagram-Bloggerin Jana Heinicke. Mit der Wirklichkeit habe das oft wenig zu tun. Über das Bild von Mutterschaft geht es in ihrem Buch „Aus dem Bauch heraus“, in dem oft viel Wut und Verzweiflung der Autorin durchklingt.

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Heinicke, 1986 in Berlin geboren, schreibt Kinderbücher, Essays und Theatertexte. Seit sie 2019 Mutter geworden ist, bloggt sie auf Instagram über den Versuch, Kind und Kunst unter einen Hut zu bekommen. Ihr Buch sei ein sehr persönliches, heißt es zu Beginn. „Es ist streckenweise ein Protokoll meines Versuchs, die Mutter zu werden, die ich, all den gesellschaftlichen, familiären und meinen eigenen Vorstellungen zum Trotz, gerne sein möchte.“

Gesellschaftlich geltender Konsens sei, so ist Heinicke überzeugt: Mutterschaft ist die naturgegebene Bestimmung der Frau. „Wie sehr unser Frauen- und Mutterbild miteinander verknüpft sind, zeigt sich etwa darin, dass Frauen und weiblich gelesene Personen ab einem bestimmten Alter irritiert bis geringschätzig angeschaut werden, wenn sie (noch) keine Kinder haben, sich für ihre Kinderlosigkeit rechtfertigen müssen oder ihretwegen sogar verurteilt werden.“

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Schwangerschaft ist etwas „Heiliges“

Für sie selbst sei die Kinderfrage schon in der Pubertät ein Qualitätsmerkmal einer potenziellen Beziehung gewesen. „Mit dieser Person kann ich mir vorstellen, Kinder zu haben“ sei das höchste Gütesiegel gewesen. „Solange ich denken kann, empfand ich Schwangerschaften als etwas Besonderes, fast als etwas Heiliges. Schon als ich ein kleines Mädchen war, übten schwangere Menschen eine große Anziehungskraft auf mich aus.“

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Das Bild von Mutterschaft in der Gesellschaft sei „recht ausdauernd mit Weichzeichner bearbeitet worden“, kritisiert die Bloggerin. Niemand könne mehr so richtig erkennen, dass Muttersein viel mit „müssen“ zu tun habe. Sie selbst habe recht verklärte Gedanken gehabt und vor der schon angeschafften Wiege stundenlang gesessen und davon geträumt, „wie unser Baby darin liegen, schlummern und zufrieden vor sich hin glucksen würde. Ich würde neben ihm am Schreibtisch sitzen und schreiben. Dann und wann, wenn ich sein kleines Gesicht vermisste, würde ich mich über die Wiege beugen und seine Pausbäckchen streicheln. Es würde mich anlachen, ich würde verliebt seufzen und könnte mein Glück kaum fassen.“

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Ihre eigene Mutter habe nie Zweifel daran aufkommen lassen, dass sie sie über alles geliebt hatte, dass sie das Beste wäre, was ihr je passiert war. „Meine Mutter entsprach ziemlich genau dem Bild einer guten Mutter. Wenn ich aus der Schule nach Hause kam, stand das Mittagessen auf dem Tisch. Wenn ich krank war oder einen ganz besonders schlimmen Liebeskummer hatte, umsorgte und tröstete sie mich; wenn ich sie anrief, ging sie ans Telefon, selbst wenn sie gerade lohnarbeitete. Sie verschob wichtige Geschäftstermine und unterbrach Treffen mit Freundinnen und Freunden, wenn ich sie brauchte.“

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Vorstellung und Realität prallen aufeinander

Als sie selbst Mutter wurde, seien ihre Vorstellung von Mutterschaft und die Realität mit voller Wucht aufeinander geprallt. Inzwischen sei sie seit fast drei Jahren Mutter und noch immer dabei zu begreifen, was das eigentlich bedeute.

Heinicke geht auf die Entstehung des heutigen Frauen- und Mutterbildes ein und darauf, welche historischen Entwicklungen sowie Philosophen, Soziologen und anderen Experten dies beeinflussten. Im Zentrum aber stehen ihre persönlichen Gedanken und Empfindungen – etwa als ihr zartrosa Bild vom Muttersein einen ersten Bruch erlitt, als sie ihren positiven Schwangerschaftstest erst nach einer mit viel Tequila durchzechten Nacht sah.

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Bewusst kinderfrei: Warum Frauen keine Mütter werden wollen

„Die Bestimmung einer Frau ist es, Kinder zu bekommen“ – so oder so ähnlich lautet nach wie vor eine weit verbreitete Haltung in Sachen Rollen­verteilung. Was viele nicht verstehen wollen: Manche Menschen wünschen sich ganz bewusst keine Kinder.

Schon als Schwangere habe sie versucht, Unsicherheit und Zweifel mit Ratgebern, Apps und der Ansammlung von immer mehr Wissen auszugleichen. Auch das Ende der Schwangerschaft brachte keine Linderung. „Im Anamnesebogen des Therapiezentrums, das ich besuchte, als mein Kind ungefähr eineinhalb Jahre alt war, sollte ich angeben, welches Erlebnis das schönste, welches das schlimmste und welches das wichtigste meines bisherigen Lebens gewesen wäre. Ohne lange nachzudenken, antwortete ich dreimal: Die Geburt meines Kindes.“

Mütter werden unsichtbar nach der Geburt

Auch hier klafften demnach Vorstellung und Realität auseinander: Statt einer natürlichen Geburt, natürlich ohne Periduralanästhesie, gab es einen Kaiserschnitt, samt Periduralanästhesie davor. Nach wie vor hadere sie mit den Strukturen und äußeren Umständen, unter denen sie geboren habe. Besser wurde es auch nicht im Wochenbett – nirgendwo könne die Erwartung des Mutterideals erdrückender sein als in dieser Zeit.

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Die Mutter selbst sei dann unsichtbar, so empfindet es zumindest Heinicke, sie werde auf ihre Reproduktionsorgane und ihre Fürsorgefähigkeiten reduziert und nicht beachtet, alles sei auf den Nachwuchs fokussiert. „Die Erwartung, dass ein Mensch, der gerade unter Einsatz des eigenen Lebens einen anderen geboren hat, seine komplette Aufmerksamkeit, sein ganzes Fühlen, all seine Energie ausschließlich auf ebendiesen Menschen richten soll, ist nahezu absurd.“

Die Erwartung, dass ein Mensch, der gerade unter Einsatz des eigenen Lebens einen anderen geboren hat, seine komplette Aufmerksamkeit, sein ganzes Fühlen, all seine Energie ausschließlich auf ebendiesen Menschen richten soll, ist nahezu absurd.

Jana Heinicke,

Autorin und Instagram-Bloggerin

Heinicke erzählt von Gesprächen mit einer Therapeutin – und bedauert diese Zeit zugleich. „Gerade in den ersten zwei Jahren im Leben meines Kindes habe ich viel Zeit damit verbracht, mir Wissen anzueignen, zu lesen, zu schreiben, mich mit anderen Müttern auszutauschen und – nun ja: in Therapien zu sitzen, um selbst wieder zu heilen. Diese Zeit habe ich nicht mit meinem Kind verbracht. Diese Zeit wird uns niemand mehr zurückgeben. Und ich bereue auf der Welt nichts mehr als das.“

„Aus dem Bauch heraus“ bietet neben zahlreichen persönlichen Empfindungen eher eine gesellschaftliche denn eine wissenschaftliche Diskussion. Viele Leserinnen, vor allem junge Mütter, werden sich über die wütende Analyse freuen und sich darin wiederfinden – andere sie wohl stellenweise überdosiert finden.

RND/dpa

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