Rapmusiker Prinz Pi: „Eigentlich wäre ich gern Tischler geworden“
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Die Beats sind härter geworden: Musiker Prinz Pi.
© Quelle: imago images/Photopress Müller
Berlin. Prinz Pi, gleich mehrfach auf Ihrem neuen Album sprechen Sie über Ihre mentale Gesundheit. In „Angst“ thematisieren Sie Panikattacken und Depressionen, im Titelsong „ADHS“ klagen Sie unter anderem über die krank machende Reizüberflutung durch soziale Medien. Hilft es Ihnen, so offen mit Ihrem Zustand umzugehen?
Ja, das tut mir sehr gut. Ich denke ohnehin, die geistige Verfassung sollte kein Tabuthema sein. Und zunehmend ist es das ja auch glücklicherweise nicht mehr. Wenn du dir das Bein brichst, machst du ja auch keinen Hehl daraus. Auch wer sich körperlich optimiert, sei es, sich Haarwurzeln implantieren lässt oder viel Geld ausgibt, um einen runderen Po zu bekommen, macht selten ein Geheimnis daraus. Dabei ist doch das Wichtigste, was du für dich tun kannst, die mentale Selbstfürsorge. Unser Gehirn ist ein Wunder der Natur, es unterscheidet uns von allen anderen Spezies – und dementsprechend viel Pflege sollte man ihm zukommen lassen.
Wie pflegen Sie Ihr Gehirn?
Ich versuche, die Fragen, die mich bewegen, zu bündeln und in meiner Musik zusammenzufassen. Das ist abgesehen von meinem Lieblingssport, dem Boxen, das wirkungsvollste therapeutische Mittel, das ich kenne. Ich liebe es, mich super lange mit meinen Songs auseinanderzusetzen. Allerdings quäle ich mich bei dieser Arbeit auch ganz schön.
Wieso?
Weil ich schrecklich hohe Ansprüche an mich selbst habe und so gut wie nie zufrieden bin. Ich sitze an einem Song und denke die ganze Zeit, dass ich kompletten Schrott fabriziere, und dann tüftele ich so lange, bis ich halb zufrieden bin. Nur um anschließend wieder alles infrage zu stellen.
Sie leben seit mehr als 20 Jahren von Ihrer Musik. Ist das mit dem Zweifeln nicht irgendwann mal genug?
Leider nein. In den vergangenen paar Jahren sind meine Selbstzweifel sogar noch mal schlimmer geworden. Ich arbeite nicht so, dass ich gewissermaßen tagesaktuell irgendwelche Stücke raushaue, sondern versuche, große und komplexe Sachverhalte in meine kleinen Songs zu verpacken. Manchmal ist der Zeitgeist heutzutage jedoch so schnelllebig, dass es eng wird mit der Aktualität, wenn ein Lied dann endlich rauskommt. Auf „ADHS“ ist zum Beispiel die Nummer „Telegramgruppe“ für mich der wichtigste Song des ganzen Albums. Sie handelt davon, wie extrem wir alle in unseren eigenen Blasen leben. Bei manchen der erwähnten Charaktere habe ich jetzt nur die Sorge, dass ihr Haltbarkeitsdatum überschritten ist, bei dem Virologen zum Beispiel. Diese Berufsgruppe war zwei Jahre lang täglich in den Medien und ist mittlerweile total in den Hintergrund gerückt und von der Zeit überholt worden.
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Irgendwie melancholisch: So ist Rapper Prinz Pi auf der Bühne – wie hier bei einem Konzert in Hannover – öfter mal.
© Quelle: Nancy Heusel
Ein großes Thema, zum Beispiel in „Erste Billion“, sind auch Kommerz, Kapitalismus und die ungleiche Verteilung von Reichtum. Rufen Leute wie Elon Musk Unbehagen in Ihnen hervor?
Dass der Typ komisch ist, weiß man spätestens, seitdem er sein Kind nach einem Testflugzeug benannt hat. Aber gut, er hat durch Innovation die Autoindustrie umgekrempelt und in wenigen Monaten eine Fabrik in Brandenburg gebaut, während Berlin 20 Jahre lang an seinem Flughafen verzweifelte. Das muss man ihm lassen. Trotzdem scheint er gerade am Durchknallen zu sein und sich dorthin zu begeben, wo Kanye West längst ist: in den Wahnsinn.
Kanye West war mal ein großes Idol von Ihnen, oder?
Absolut. Nichts tut so sehr weh, wie wenn die eigenen Idole fallen. Und Kanye ist echt verdammt tief gefallen. Jahrelang spielte er sehr gekonnt auf der Klaviatur des Skandalverursachens. Das Übertreten von Grenzen war für ihn ein erfolgversprechender Marketingmechanismus. Allerdings mussten nun auch die größten Fans erkennen, dass er einfach nur ein antisemitisches Arschloch ist. Und gefährlich wird es meines Erachtens, wenn sich Milliardäre nicht einfach weiterhin Jachten, Inseln und Privatraketen kaufen, sondern sich Medien wie Twitter, Zeitungen oder Messengerdienste zulegen. Die öffentliche Meinung ist in der Hand von fragwürdigen Milliardären nicht besonders gut aufgehoben.
„Was ist Glück?“, fragen Sie in „Erste Billion“. Haben Sie für sich eine Antwort?
Ich habe drei Kinder – 13, sieben und zwei Jahre alt –, die machen mich sehr glücklich. Selbst wenn sie ständig wie die Saurier über ihr Müsli herfallen und ich dann wieder alles aufräumen darf. (lacht) Schwieriger zu beantworten ist die Frage, ob man über sich selbst glücklich ist. Die vergangenen Jahre waren eine Zeit, in der sich viele, ich mich auch, sehr intensiv mit sich selbst beschäftigt, Dinge reflektiert und aufgearbeitet haben. Das geht den Individuen so, aber auch ganzen Gesellschaften – in den USA wird verstärkt über Rassismus debattiert, in der Schweiz über das einstige Schicksal der Verdingbuben, die im Prinzip Kindersklaven waren. In Deutschland etwa geht man selbstkritischer mit seinem kolonialen Erbe um und gibt beispielsweise Raubkunst zurück an die rechtmäßigen Besitzer.
Der Rucksack war immer voller Bücher
Sie beschäftigen sich auf „ADHS“ auch wiederholt mit Ihrem eigenen Lebenslauf und rappen darüber, ein armes Kind in einem reichen Umfeld gewesen zu sein, das zwar kein Geld hatte – aber Bücher. Kann Literaturreichtum klassischen Geldreichtum ersetzen, gar toppen?
Ich war sicher einer der besten Kunden der Stadtbibliothek Zehlendorf-Mitte. Ich hatte immer den ganzen Rucksack voller Bücher und habe echt unheimlich gerne und auch viel gelesen. Ich habe sogar irgendwann eine besondere Technik gelernt, das „improved reading“, auf Deutsch „verbessertes Lesen“. Viele Juristen und Mediziner praktizieren das auch. Dabei trainierst du dein Gehirn, schneller zu lesen, dadurch nimmt es außerdem auch mehr von dem Lesestoff auf. Im Schnelllesen war ich bei uns immer der Klassenbeste.
Sie haben Kommunikationsdesign studiert. Wäre aus Ihnen womöglich auch ein guter Anwalt oder Arzt geworden?
Mein Wunsch war es eher, eine Ausbildung zu machen. Ich wäre richtig gern Tischler geworden. Jetzt ist die Tischlerei mein Hobby. Die Möbel bei uns zu Hause habe ich fast alle selbst gebaut. Ich finde es eine Schande, dass Ausbildungsberufe in unserer Gesellschaft nicht so hoch angesehen werden wie akademische Berufe. Und dann fehlen bei uns in ganz vielen handwerklichen Berufen die Leute. Industrie und Handwerk suchen verzweifelt nach Personal, und aus der Politik tönt es: „Wir dürfen keine Menschen mehr in dieses Land lassen.“ Was für ein Widerspruch!
Sie sind ein sehr eloquenter Mann. Ob Sie vielleicht auch ein ganz brauchbarer Politiker geworden wären?
Ich weiß nicht. Vielleicht. Quasi der Grund, aus dem ich mich entschieden habe, Musik zu machen, ist ein sehr altes Buch von Cicero: „De re publica“, „Über das Gemeinwesen“. Es handelt davon, was der Einzelne für die Gesellschaft tun sollte, bei den Römern war das Gemeinwohl eine wichtige Angelegenheit. Die meisten wurden Soldaten, was im alten Rom 20 Jahre bei der Armee bedeutet. Es gab aber auch Menschen, die zum Nachdenken animierten, weil sie gut reden konnten. Ich überlegte also, wie ich selbst mit meinen begrenzten Mitteln einen Mehrwert schaffen könnte – und kam auf Schriftsteller, Musiker oder eben Politiker.
Warum haben Sie diesen Weg nicht verfolgt?
Unter anderem, weil ich es schwierig fand, eine Partei zu finden, die sich mit meinen Überzeugungen und Einstellungen deckt oder in der keine Leute sind, die ich für korrupt und charakterlos halte. Die allermeisten Berufspolitiker haben sich so krass vom normalen Bürger entfernt, dass sie überhaupt kein Gespür mehr für die wirklichen Probleme der Menschen haben.