Wer hat Bock: Können wir den Fachkräftemangel mit mehr Lust auf Arbeit in den Griff bekommen?
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Im Umfeld von RND-Autorin Ninia LaGrande sind viele Menschen erschöpft.
© Quelle: Abbie Bernet/Unsplash
Auf die Frage „Na, wie geht’s?“ höre ich aktuell nur eine Antwort: „Ich bin erschöpft.“ Um mich herum sind alle müde. Vor allem Eltern, die ihre Kinder die letzten drei Jahre durch Homeschooling und Kita-Schließungen begleiten mussten, gleichzeitig präsent im Homeoffice sein und jetzt aber wieder jeden Tag ins Büro kommen sollen, während sich bei den Kindern Streptokokken und Mittelohrentzündungen abwechseln. In diese Erschöpfung posaunt Arbeitergeberchef Steffen Kampeter, wir müssten mehr leisten.
Längere Arbeitszeiten für alle, Freizeit sei auch bei einer 39-Stunden-Woche möglich und überhaupt bräuchten wir „mehr Bock auf Arbeit“. Kampeter ist verheiratet und hat drei Kinder. Wie, möchte ich ihn fragen, machen Ihre Frau und Sie das, wenn sie beide mindestens 39 Stunden lohnarbeiten und drei Kinder großziehen? Wo befinden sich die Kinder nach 16 Uhr, wenn ein 39-Stunden-Arbeitnehmer noch längst nicht Feierabend hat, aber Kitas und Schulen den Schlüssel im Eingangstor drehen?
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Mit der Zufriedenheit steigt die Produktivität
Eine neue Studie in Großbritannien hat ergeben, dass die Belegschaft bei einer Viertagewoche insgesamt weniger krank, zufriedener und – vor allem – produktiver ist. Der Arbeitgeberchef aber befürchtet, „die ganze Gesellschaft hat durch staatliche Fürsorge, durch Rettungsprogramme, Doppelwumms und alle möglichen Formen der staatlichen Abfederung vergessen oder verlernt, dass das Geld auch erwirtschaftet werden muss“. Und weil sich all die Pflegekräfte, Erzieherinnen, Ärzte, Busfahrer und sonstige Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen aus den systemrelevanten Berufen ausgeruht haben, müssen sie jetzt ran. Oder redet Kampeter hier von Menschen wie ihm selbst, also über Menschen, die auch über eine Pandemie hinweg so viel verdienen, dass es ein Leichtes ist, anderen zu erklären, man müsste für Geld auch arbeiten?
Eine Lösung wäre, Arbeitsbedingungen zu verbessern, Vereinbarung und Freizeit wirklich zu ermöglichen und die Zufriedenheit so zu erhöhen, dass gleichzeitig die Produktivität steigt. Das funktioniert nachweislich vor allem in diversen Teams. Wenn Menschen, die unterschiedliche Lebenserfahrungen haben, zusammenarbeiten, sind die Teams effizienter und ideenreicher – und vor allem auch wirtschaftlich erfolgreicher. Das kann nur im Interesse der Arbeitgeber sein. Dafür muss man aber auch etwas tun. Nicht nur innerhalb des eigenen Unternehmens. Es müssen auch Veränderungen von der Politik gefordert werden. Dazu gehört, Abschlüsse von zugewanderten Menschen schneller anzuerkennen und so ihre Arbeitskraft zu nutzen. Auch die Inklusion von Menschen mit Behinderungen für den ersten Arbeitsmarkt zu fördern gehört ebenso dazu, wie Quereinsteiger willkommen zu heißen.
Eine Vielfalt an Talenten und Perspektiven erweitert den gewohnten Rahmen und kann so zu einer höheren Produktivität führen. Vor diesem Hintergrund sollte auch Eltern, insbesondere Müttern, der Wiedereinstieg in den Beruf ermöglicht werden. Kampeter fordert „Kita-Plätze für alle“. Wie diese Forderung aber angesichts des Fachkräftemangels und der Unterbezahlung in dem Bereich verwirklicht werden soll, dazu hat der Arbeitgeberpräsident keine Idee. Zumindest keine, die er verraten möchte.
Ninia LaGrande ist Autorin, Moderatorin und Schauspielerin. Sie sitzt im Gleichstellungsbeirat der deutschen G7-Präsidentschaft.
In der Kolumne „Auf der Couch“ schreiben wechselnde Experten zu den Themen Diversität, Achtsamkeit, Karriere und Gesundheit.