„Respektvollster“ Tod?

Ike Jime: Warum Köche Fische neuerdings am liebsten nach japanischer Methode töten

Fischfilets liegen auf einem Brett.

Fischfilets liegen auf einem Brett.

Mit einem Stock schlägt Stefan Erber der zappelnden Lachsforelle einmal auf den Kopf, das Tier zuckt noch zweimal, dann geht alles ganz schnell. Ein tiefer Schnitt am Hals, ein tiefer Schnitt am Schwanz. Der Teichwirt der Pfälzer Fischzuchtanlage Petrihof Eußerthal tauscht das Messer mit einem dünnen Draht, den er in den Wirbelkanal des Tiers einführt und mehrmals vor und zurück schiebt. Danach kommt der Fisch zum Ausbluten in eine Wanne mit Eiswasser. Innerhalb weniger Sekunden wurde er in einen verzehrfertigen Zustand versetzt. „Mehr ist es eigentlich nicht“, sagt Erber, legt den Draht weg und zuckt mit den Schultern. Er praktiziert diese Art der Fischtötung im Auftrag von Koch Benjamin Peifer.

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Ike Jime heißt die Methode. Sie stammt aus Japan und wird auch hierzulande vermehrt von Köchen favorisiert. Von „humanster“ oder „respektvollster“ Tötung“ wird in diesem Zusammenhang gerne gesprochen, denn die Fische kommen im Normalfall vor der Schlachtung mehrere Stunden lang in ein Becken zur Beruhigung. Manch japanischer Teichwirt soll seine Tiere aus dem Becken nehmen können, ohne dass sie zucken oder zappeln. „In Japan wird sicherlich noch diese zeremonielle und traditionelle Methode praktiziert, aber die kommerzielle Variante ist dort wahrscheinlich weitaus verbreiteter. Der Fisch wird mit einem gezielten Stich ins Hirn getötet, an Hals und Schwanz die Blutbahnen und Rückenmark durchtrennt und eine Druckluftpistole an den Rückenmarkskanal angesetzt, um die Nervenbahn rauszublasen“, berichtet Peifer.

Eine halbe Stunde Autofahrt vom Petrihof Eußerthal entfernt betreibt der Koch das erst im November vergangenen Jahres neu eröffnete „Intense“ an der Pfälzer Weinstraße. Die Waren für seine Küche bezieht Peifer aus der nahen Umgebung. Die Techniken, mit denen er den Produkten zu Leibe rückt, sind japanischer Natur.

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Längere Haltbarkeit

Pfeifer produziert im Haus etwa eigene Sojasoßen oder Misopasten. In Gerichten tauchen Begriffe wie Tamagotufo, Saishikomi-Shoyu oder Sakuraboshi auf. Die Perfektion der japanischen Küche hat es dem Koch angetan, ebenso wie die Philosophie, die dahinter steckt: alles im Sinne des Genusses zu durchdenken. Nichts anderes ist für ihn Ike Jime. Die deutsche Gesetzgebung verbietet zwar den Stich ins Hirn und schreibt eine vorherige Betäubung mit Kopfschlag oder mit Strom vor, entscheidender an der Technik ist jedoch das Aushöhlen des Wirbelkanals.

Jegliche Befehle von den Nervenbahnen zur Muskulatur werden durch die Methode unterbunden, was verhindert, dass die Muskulatur im Stressmoment übersäuert. „Ike Jime verdreifacht die Haltbarkeitsdauer“, sagt Peifer, denn die Fische verderben nicht so schnell.

Trotz dieses Vorteils hat sich Ike Jime im Großhandel bislang nicht durchgesetzt. Vor allem kleinere Fischer und Teichwirte wie Erber praktizieren die Methode auch nur, weil sie von Köchen, die meist im gehobenen Bereich arbeiten, darum gebeten wurden. Ike Jime ist eben nicht nur etwas aufwendiger in der Prozedur, sondern auch eine Frage von Technik, denn eine Eismaschine für das Eisbad direkt nach der Tötung ist unabdingbar – ein zweiter Punkt, der die Fischqualität und Haltbarkeit maßgeblich beeinflusst.

Schuppen und Flossen werden mitverarbeitet

Das berichtet auch Marco Müller, Küchenchef des Restaurants „Rutz“ in Berlin. Der Koch ist nicht nur passionierter Hobbyfischer, sondern bekannt für seine Experimentierfreude mit Regionalwaren. Besonders Fisch landet in seinem Genusslabor und wird einer nachhaltigen, ganzheitlichen Verarbeitung unterzogen. Müller backt die silbrige-schillernde Haut von Meerforellen aus, setzt sie als Chips oder pulverisiert als Gewürz ein. Er baut die gekochten, getrockneten und ausgebackenen Schuppen vom Barsch in seine Gerichte ein oder frittiert die Flossen von Flussforellen. Was für manch einen wenig appetitlich klingt, ist dem Guide Michelin die Höchstnote von drei Sternen wert – mehr Anerkennung durch einen Restaurantführer geht nicht.

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Liebt Karpfen: Koch Marco Müller.

Liebt Karpfen: Koch Marco Müller.

Vor allem Karpfen aus der Müritz haben es Müller angetan. Aus Haut, Kopf und Gräten kocht er einen tiefdunklen Lack oder stellt mittels Fermentation eine goldschillernde, feinwürzige Fischsoße her. Den Rogen der weiblichen Tiere salzt er ein, trocknet ihn oder produziert daraus Kaviar. Die Fischmilch, also Samen und Samenstränge der männlichen Tiere, brät er mit Butter in der Pfanne.

Methode mildert Fischgeschmack ab

Geschlachtet werden die Tiere auch für Müller nach der Ike-Jime-Methode. Gerade bei Fettfischen wie Makrelen, Sardinen, Heringen oder Fischen, die auch mal zu etwas tranigerem Geschmack neigen wie Karpfen, bietet sich die japanische Schlachtmethode aus seiner Sicht an: „Die Fische werden geschmacklich etwas entschärft und zeigen ihre elegante Seite“, sagt er.

Besonders das Eisbad ist für Müller ein wichtiger Punkt, der für den Geschmack zählt. Das Fischfleisch würde sich zusammenziehen, und obwohl Blut- und Nervenbahnen durchtrennt seien, würde das Herz noch eine gewisse Zeit weiterpumpen. „Das Blut wird so aus dem Fleisch gepresst“, beschreibt der Koch. Andernfalls gäbe es einen unangenehmen Geschmack, vor allem bei Karpfen, die – nach fachgerechter Säuberung und kühler Lagerung – noch sieben bis zehn Tage reifen dürfen, bevor sie serviert werden.

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Ist Ike Jime also das Nonplusultra? Müller schüttelt den Kopf. „Ich mache gerade Versuche mit Plötzen, die sich vor dem Winter ein Fettpolster anfressen und erst dadurch ein bemerkenswertes Aroma bekommen, der Wolfsbarsch in nichts nachsteht. Ike Jime fände ich hier eher kontraproduktiv, weil der Eigengeschmack zu sehr abgemildert würde.“

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