Fettnäpfchen verhindern

Manieren bei Tisch, Tanz und Tagesgruß: Diesen Stellenwert haben Umgangsformen heute

Die feine englische Art: In der Fernsehserie „Downton Abbey“ werden nicht nur formvollendete Tischmanieren zelebriert, sondern auch die vornehme Zurückhaltung.

Die feine englische Art: In der Fernsehserie „Downton Abbey“ werden nicht nur formvollendete Tischmanieren zelebriert, sondern auch die vornehme Zurückhaltung.

Bis heute ist die Dinnerszene aus dem Film „Pretty Woman“ mit Julia Roberts ein regelrechter Schenkelklopfer: Da sitzt eine elegant gekleidete, aber in Bezug auf gesellschaftliche Konventionen dennoch völlig unerfahrene junge Frau am akkurat eingedeckten Restauranttisch und verzweifelt an der Reihenfolge des Bestecks. Und dann soll sie Schnecken essen. Beim Agieren mit der dafür vorgesehenen Zange fliegt das Gehäuse durch die Luft. Der Ober fängt es auf und bemerkt verständnisvoll, dass derlei Unfälle ständig passieren. Wir lachen darüber, weil das Thema Tischmanieren hier ad absurdum geführt wird. Doch die Szene verfängt auch, weil jeder schon mal Momente erlebt hat, in denen er oder sie unsicher darüber war, was sich gehört.

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Umgangsformen mögen heute weniger streng sein als früher, haben aber nach wie vor einen hohen Stellenwert: „Kurse darin sind ex­trem notwendig und extrem beliebt“, sagt Rolf Mayer, Sprecher des Berufsverbandes Deutscher Tanzlehrer (BDT). Das bestätigt auch Nandine Meyden, Trainerin und Coach für Etikette und Umgangsformen. Während Tanzschulen vor allem Jugendliche auch darin unterweisen, wie man sich grundsätzlich auf gesellschaftlichem Parkett bewegt, zählen zu Meydens Kundschaft Unternehmen aus der freien Wirtschaft, Banken und Behörden. Sie wird angefragt für Seminare, in denen von der Begrüßung über die passende Kleidung bis hin zum Verhalten in Meetings oder bei Firmenveranstaltungen „moderne Höflichkeit“, wie sie es nennt, vermittelt wird. Mit dieser Formulierung will sie nicht zuletzt auch dem Vorurteil begegnen, gutes Benehmen sei spießig und wirke gezwungen.

Höflichkeit ist keine Selbstverständlichkeit

Das Wort Manieren mag Meyden daher nicht: „Es klingt immer gleich nach der strengen Gouvernante Fräulein Rottenmeier aus dem Roman ‚Heidi‘. Mir ist der Begriff Umgangsformen lieber. Denn es geht bei gutem Benehmen um ein gutes Miteinander.“ Das wiederum ist für die Etiketteexpertin von Wertschätzung und Aufmerksamkeit geprägt. Obwohl daran wohl jedem gelegen ist, ist Höflichkeit anderen gegenüber offenbar keine Selbstverständlichkeit. Doch Meyden zufolge hat das heute oft weniger mit fehlendem Respekt voreinander als vielmehr mit Unsicherheit zu tun.

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Schon bei der Begrüßung tun sich bei vielen Fragezeichen auf: Mit Handschlag oder nicht? Siezen oder duzen? Erwidere ich das freundliche Nicken eines Kollegen in meine Richtung, obwohl ich ihn nicht kenne? Sage ich „Hallo“ oder doch eher „Guten Tag“ zur Chefin? Ein „Benimmführer“ aus den Sechzigerjahren hat dafür klare Regeln: Höhergestellte geben zu erkennen, ob sie dem Gegenüber die Hand reichen wollen. Jüngere strecken diese „auf keinen Fall zuerst“ hin. „Hallo“ sagt man nur unter seinesgleichen. Grüßen andere, die man nicht kennt, grüßt man zurück. Das Duzen von Unbekannten oder Vorgesetzten war damals kein Thema.

„Abstand ist der neue Anstand“

Altmodisch und steif mutet das alles heute an. Doch tatsächlich machten solche Regeln den Umgang miteinander leichter. Meyden vergleicht das mit Verkehrsvorschriften: „Die heutige Lockerheit im Umgang miteinander hat etwas Unverkrampftes, bedeutet aber auch, dass ich mehr Unsicherheit aushalten muss. Es ist wie im Straßenverkehr: Fehlt das Vorfahrtsschild mit seiner klaren Regelung, kann das zu Missverständnissen und Unsicherheit führen.“

Die sei, so hat sie beobachtet, seit dem Ausbruch der Pandemie größer geworden. Das ist auch aus Meyers Sicht so. Er betreibt zusammen mit seiner Frau eine Tanzschule in Baden-Württemberg. In den ersten Jugendkursen nach der Lockdownphase hätten die Teilnehmenden sich zunächst oft nicht getraut, den Tanzpartner oder die Tanzpartnerin zu berühren – aus Angst, dem anderen zu nahe zu treten. Distanz hat seitdem weniger mit Ignoranz zu tun als vielmehr mit Rücksicht. Meyden leitet daraus für den korrekten Umgang miteinander eine Faustformel ab: „Abstand ist der neue Anstand.“ In der Praxis bedeutet das, dass man nicht überfallartig mit ausgestreckter Hand auf andere zugeht. In solchen Situationen ist auch Feingefühl gefragt.

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Wer freundlich ist, bekommt etwas zurück

Höflich distanziertes Verhalten ist keine neue Erfindung, sondern galt über Jahrhunderte als Zeichen von Anstand, Würde und Unaufdringlichkeit. So sehr wir über das Dinnerchaos in „Pretty Woman“ lachen, so sehr bewundern wir doch die vornehme Zurückhaltung ausdrückenden Manieren der Tischgesellschaften in Kostümdramen wie „Downton Abbey“. Vieles wirkt dort angenehm behütet und wohlgeordnet, und das nicht zuletzt deshalb, weil feste Regeln und Hierarchien herrschen. Natürlich will niemand das Viktorianische Zeitalter zurück, sich in ein Benimmkorsett pressen lassen und vor anderen knicksen oder einen Diener machen. Andererseits will man eben auch nicht ständig in Fettnäpfchen treten, weil man nicht weiß, was angebracht ist und was nicht. Und von diesen Fettnäpfchen gebe es mehr als genug, betonen Meyden und Mayer übereinstimmend.

Beide sind sich auch einig darin, dass vor allem junge Menschen heute sehr empfänglich für Etiketteregeln sind: „Die wenigsten verhalten sich absichtlich respektlos“, sagt Meyden. Sie wüssten es einfach nicht besser und seien dankbar für Hinweise im Umgang mit anderen. „Von zu Hause wird nicht mehr so viel mitgegeben“, bedauert Mayer. Zu grüßen, wenn man einen Fahrstuhl betrete, das würden auch viele Eltern nicht machen. Für Mayer ist das unverständlich: „Wer freundlich ist, bekommt auch etwas zurück. Das macht den Tag doch für alle besser. Insofern ist gutes Benehmen nie out.“

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