Keimlinge: So werden Sprossen genossen
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Auf der Fensterbank gedeihen Sprossen wunderbar.
© Quelle: Liza Golyarchuk/Unsplash
Es keimt und grünt auf deutschen Fensterbänken: Sprossen selbst zu ziehen liegt im Trend – und das nicht nur für die vegane Küche oder bei Rohkostfans, sondern auch bei Hobbyköchinnen und ‑köchen, die Gerichten gern eine sowohl delikate als auch dekorative Note verleihen.
Nährstoffreiches Superfood
Das Superfood als Topping fürs Butterbrot oder den Salat wird zu Hause im Glas oder im Schälchen gezogen, füllt mittlerweile aber auch die Kühlregale der Supermärkte. Sprossen wie Kresse, die schon von den alten Römern angebaut wurde, gelten als besonders nährstoffreich und sollen gegen diverse Krankheiten helfen. Was viele bei den verlockenden Gesundheitsversprechen vergessen: Sprossen gelten als Ursache für den folgenschweren Ehec-Ausbruch im Jahr 2011 in Norddeutschland, bei dem viele Menschen unter dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) litten, das mit der Zerstörung von Blutzellen und einer Schädigung der Nieren einhergeht.
Sprossen entwickeln sich aus Keimlingen. Dabei handelt es sich laut Gabriele Kaufmann, Ökotrophologin beim Bundeszentrum für Ernährung (BZfE), um den ersten zarten Pflanzenstängel, der aus dem Samen bricht. Er zehrt vom Nährgewebe des Samens, und durch die Prozesse des Wachstumsstoffwechsels steigt der Nährstoffgehalt stark an. Um den Keimprozess anzustoßen, braucht es nicht viel: Wasser, Wärme, Sauerstoff und Licht reichen, damit der Keim seinen Wachstumsprozess beginnt.
Sprossen im Glas ziehen
Genau das macht man sich beim Ziehen von Sprossen zunutze. Eine besonders einfache Methode ist das Hegen und Pflegen im Glas. Dabei werden die Saaten erst rund zwölf Stunden gewässert und dann in ein Einmachglas verpflanzt – der Schraubdeckel muss dabei luft- und wasserdurchlässig sein. Die Samen im Sprossenglas müssen dann zweimal täglich gut mit Wasser gespült und anschließend schräg mit der Öffnung nach unten aufgestellt werden, sodass überflüssige Feuchtigkeit abfließen und die Luft zirkulieren kann. Das soll verhindern, dass sich Bakterien und Schimmelpilze im feuchtwarmen Klima des Glases ungehindert vermehren. Nach drei bis vier Tagen sind die meisten Sprossen erntereif – ohne dass sie jemals Erde berührt haben.
Doch Samen ist nicht gleich Samen: „Wollen Sie zu Hause Keimlinge oder Sprossen ziehen, sollten Sie unbedingt darauf achten, Saaten zu nutzen, die als Lebensmittel ausgewiesen sind“, erklärt Gabriele Kaufmann. Diese seien im gut sortierten Fachhandel, in Supermärkten, Reformhäusern oder Naturkostläden erhältlich.
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Essbar sind unter anderem die Sprossen von Brokkoli, Radieschen, Mungobohnen, Kichererbsen, Linsen, aber auch Weizen, Roggen oder Gerste. Auch Kresse und Rucola sind schmackhaft, können aber nicht im Sprossenglas gezogen werden. Kommen sie mit Wasser in Berührung, bildet sich eine gallertartige Schicht um den Samen, die es unmöglich macht, ausreichend Feuchtigkeit von der Samenmischung zu trennen. Bei diesen Sorten empfiehlt es sich, auf Keimschalen zurückzugreifen.
Den jungen Pflänzchen werden viele positive Eigenschaften nachgesagt. So sollen sie laut dem Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit reich an Vitaminen und Ballaststoffen sein. Zudem seien sie kalorienarm, enthalten ungesättigte Fettsäuren und wichtige Mineralien sowie Spurenelemente wie Kalzium, Phosphor und Magnesium.
Obacht vor Bakterien und Schimmelpilzen
„Durch den Wachstumsprozess enthalten die Keime viele Nährstoffe in sehr konzentrierter Form“, so Kaufmann. „Zudem sind Sprossen reich an verschiedenen sekundären Pflanzenstoffen, die unter anderem antioxidative und entzündungshemmende Wirkungen haben können“, sagt sie. Sie sind daher eine gute Ergänzung in einer ausgewogenen Ernährung.
Gleichzeitig warnt die Expertin davor, dass in dem warmen und feuchten Milieu der Keimschalen und Sprossengläser auch unerwünschte schädliche Bakterien und Schimmelpilze sprießen können. Der Ehec-Skandal aus dem Jahr 2011 war eines der bekanntesten Beispiele dafür. Heute – rund zwölf Jahre nach der Krankheitswelle – ist Ehec aus dem Gedächtnis vieler Menschen verschwunden. Laut dem Verbrauchermonitor 2023 des Bundesamts für Risikobewertung (BfR) hatten 71 Prozent der Befragten nie vom Ehec-Erreger gehört – geläufiger waren Krankheitserreger wie Salmonellen und Noroviren.
Ehec ist tatsächlich ein extremes Beispiel, doch die Gefahr von Keimen auf den Keimen ist grundsätzlich immer gegeben: „Sprossen sind ein Paradies für Keime jeglicher Art“, gab das BfR schon 2012 in einem Merkblatt zu bedenken: „Die feuchtwarmen Anzuchtbedingungen begünstigen die Vermehrung von Krankheits- und Verderbniserregern“, heißt es darin.
So schützen Sie die Keimlinge vor Keimen
In Panik ausbrechen sollten Verbraucherinnen und Verbraucher deshalb aber nicht. Pflanzen und Samen sind niemals steril. Darauf weist auch das Niedersächsische Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit hin. Mikroorganismen leben auf Samen – das ist ganz natürlich. Daher empfehlen die Behörden einen stets sorgfältigen hygienischen Umgang mit rohen Sprossen – besonders für Menschen mit geschwächter Immunabwehr. Ökotrophologin Kaufmann weist darauf hin, dass Verbraucher die Sprossen – egal ob aus dem Supermarkt oder aus eigener Anzucht – stets gründlich waschen sollten. „Auf Nummer sicher geht, wer die Keimlinge vor dem Verzehr blanchiert, also mindestens eine Minute in kochendes Wasser taucht“, erklärt sie weiter.
Wichtig: Sprossen von Hülsenfrüchten wie Bohnen oder Kichererbsen müssen immer ausreichend erhitzt werden. In rohem Zustand enthalten diese nämlich das für Menschen giftige Phasin – erst durch das Kochen oder Garen werden die Sprossen verdaulich.
Ehec-Infektionen vermeiden
Das Abkochen von Sprossen empfiehlt auch das BfR, „da sich immer wieder zeigt, dass von Ehec-Infektionen zwar besonders Kinder sehr stark betroffen sein können, dass aber auch bei voll immunkompetenten Personen das Risiko einer Infektion mit schweren Komplikationen besteht“, teilt die Behörde auf Anfrage mit. Zudem sollten Sprossen immer gekühlt gelagert und schnell verbraucht werden.
Allerdings verlieren hitzebehandelte Keimlinge einen Teil ihrer Vitamine und Nährstoffe – egal, ob sie gedämpft oder in der Pfanne gegart werden. Kaufmann vom BZfE stellt dabei eine einfache Kosten-Nutzen-Rechnung auf: „Wenn man zu den blanchierten Sprossen beispielsweise einen Rohkostsalat kombiniert, macht das den Verlust an den hitzeempfindlichen Nährstoffen schnell wieder wett. Und viel Gemüse und Obst insgesamt auf dem Speiseplan hilft, den Nährstoffbedarf auf leckere Art zu sichern.“