Liebe oder Likes? Warum wir Datingshows schauen
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Bei RTL werden ab heute wieder Rosen verteilt.
© Quelle: dpa
Im rosa Bikini liegt sie in der Badewanne an ihn gelehnt, er küsst Nacken und Schulter, sie streicheln sich, säuseln sich Liebeleien ins Ohr. Als sie aufsteht, muss er noch ein wenig liegen bleiben, erzählt er ein wenig peinlich berührt. Der enge Körperkontakt hat wohl hormonelle Reaktionen ausgelöst.
Ein gemeinsames Bad, innige Küsse, tiefe Blicke, Fummeleien unter der Bettdecke – wer Yeliz Koc und Max Bornmann bei „Make Love Fake Love“ auf RTL+ zuschaut, könnte fast meinen, dass es den beiden ernst ist. Doch während sie sich wohl allmählich in den Muskelprotz verliebt, verfolgt er eine andere Mission. Wenn er der 29-Jährigen die große Liebe glaubwürdig und lange genug vorspielt, nämlich bis zum Finale in dieser oder der kommenden Woche (RTL hat noch keinen Termin bekannt gegeben), und sie sich am Ende tatsächlich in ihn und nicht in einen der Singlemänner verliebt hat, dann, ja dann bekommen Max und seine Freundin Luisa 50.000 Euro.
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Allein die RTL-Gruppe hat mehr als 30 Datingshows im Programm
Datingshows ziehen mehr denn je. Sat.1 hat gerade erst die Mutter aller Datingshows, „Herzblatt“, unter dem Titel „Dating Game“ neu aufgelegt. Allein die RTL-Gruppe hat mehr als 30 verschiedene deutsche Formate im Programm, Nackte, Influencer, Bauern, Stars, Schwule, Schwiegereltern, Ex-Partner – alle suchen sie angeblich die Liebe. Am Mittwoch startet die neue Staffel „Der Bachelor“ im Free TV (1. März, 20.15 Uhr, RTL), mit einer Kandidatin, die zuvor schon bei „Ex on the Beach“ zu sehen war. Zudem laufen „Prominent getrennt“ und die neue Staffel „Take Me Out“. Bei dem Dauerbrenner müssen 30 Frauen per Buzzer für oder gegen einen Mann entscheiden. „First Dates“ auf Vox ist nach wie vor jeden Wochentag im Vorabendprogramm zu sehen.
„In der Breite hat es das so noch nie gegeben“, sagt Medienpsychologe Richard Lemke. Das liege zum einen daran, dass die Sender ihre Produktpaletten aufgrund der Streamingdienste erweitern mussten – und Reality-Programme sind günstig und unaufwendig zu produzieren. Aber zum anderen eben auch am Interesse des Publikums. „Gerade nach den Jahren mit Corona, die von körperlicher Distanz und Isolation geprägt waren, und nun durch den Krieg in der Ukraine, der die Psyche noch viel stärker belastet, haben wir eine Sehnsucht nach Alltagsmärchen“, so der Wissenschaftler, der sich mit Medien und Sexualität beschäftigt.
Influencer sucht Liebe: Die neue Staffel von „Der Bachelor“ startet
Der „Bachelor“ ging 2003 an den Start und ist, zusammen mit „Bauer sucht Frau“ (seit 2005), ein Erfolgsgarant für RTL – so wurden bereits Ableger wie „Bachelorette“ und „Bachelor in Paradise“ geschaffen. In der nunmehr 13. Staffel sucht Influencer und Model David Jackson nach der Liebe – und natürlich nach Likes auf Instagram und Werbedeals. Dass Letzteres dieses Mal so offensichtlich ist, stört die Fans sodann erheblich, es passt nicht zum Alltagsmärchen, in dem es um die wahre Liebe geht.
Datingshows knüpfen an Dinge an, die wir alle schon erlebt haben, damit arbeiten wir viel auf.
Richard Lemke, Medienpsychologe
Das Konzept von „Der Bachelor“ wurde seit der ersten Staffel nicht verändert: Viele Frauen, ein Mann, Gruppen- und Einzeldates, zwei Villen, zumeist am Strand, und am Ende jeder Folge werden Rosen vergeben – immer weniger, als noch Kandidatinnen dabei sind. Simpel, nicht zu teuer in der Produktion, und doch ist das Publikum von der seichten Unterhaltung fasziniert.
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Bachelor David und Leyla, die bereits Erfahrungen bei RTL-Datingshows hat, machen ein Selfie.
© Quelle: RTL+
Im Fernsehen wie in der Realität: die unangenehmen Momente des Datens
Empirische Forschung, warum Menschen Datingshows schauen, gibt es nicht. So vielfältig wie die Angebote dürften auch die Motive des Publikums sein, meint Lemke. Da wäre etwa eine Lust auf Voyeurismus, Skandalisierung, Provokation, die in Menschen schon immer Neugierde geweckt haben. Die Sehnsucht, sich über andere lustig zu machen, lebt durch das klischeehafte Überzeichnen von Körpern und Charakteren und die stereotypen Geschlechterrollen.
Unterbewusst laufen aber oftmals mehrere Stränge zusammen. Bei Datingshows lassen sich Situationen beobachten, die wir selbst erlebt haben. Das peinliche Schweigen beim Essen, das sehnsüchtige Warten, bis ein schlechtes Date ein Ende hat, das völlige Drübersein, wenn das Blind Date sich als richtig toll erweist, die eigene Unbeholfenheit. „Das knüpft an Dinge an, die wir alle schon erlebt haben, damit arbeiten wir viel auf“, sagt Lemke.
Über Datingshows wird die eigene Lust ausgelebt
Aber auch eine eigene Sehnsucht, die durch das Verhalten im TV legitimiert wird, etwa die nach dem Ausleben der eigenen Sexualität, nach dem Beginn einer Affäre, dem Nachgeben der Lust. „Die eigene Lust auf sexuelle Vielfalt muss irgendwo hin“, sagt Lemke. Genau deshalb passten Formate, in denen es um Betrug und verschiedene Liebhaberinnen und Liebhaber geht, in die heutige Zeit. „Je höher der eigene moralische Wertekompass, desto stärker sind die Reaktionen“, so Lemke. Zu einem gewissen Grad würden Menschen ihre geträumte Lust gerne ausleben. Zu sehen, dass andere diese Lust auch spüren und sogar ausleben, legitimiert ein Stück weit die eigene Lust. „Auf der psychosozialen Ebene ist das sehr spannend“, so Lemke.
Und dann wäre da noch der Wunsch nach der heilen Welt, nach Zerstreuung, nach Romantik, nach einem modernen Märchen. „Es sind die Narrative, die Geschichten, die im Vordergrund stehen“, sagt Felix Dietrich, der sich an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz mit Reality-TV beschäftigt. Wir sind beim ersten Kennenlernen dabei, beim Annähern, beim ersten Kuss – und wollen wissen, wie es weitergeht. „Das soll aber möglichst echt sein, deshalb bewegt uns die Frage, was gescriptet ist und was real, auch so stark“, sagt Lemke.
Dietrich hingegen glaubt, dass der Realitätsbezug nur eine kleine Rolle spielt. Es gehe um Unterhaltung, um den Bezug zu Charakteren – also um Erfahrungen, die sich bei der Rezeption von Spielfilmen und Büchern genauso finden. „Viele Mechanismen funktionieren gleich, die Geschichte muss nur in sich plausibel sein“, so Dietrich. Beim Ansehen von Spielfilmen wie bei Reality-Sendungen „sind wir für die Unterhaltung bereit, eine Illusion aufrechtzuerhalten“. Allerdings bescheinigt auch er: Formate mit echten Darstellern machten die Menschen noch ein bisschen neugieriger – immerhin bekommen wir auch ein Ende über das Sendungsende hinaus mit.
Für 50.000 Euro die Freundin betrügen und einer Frau die große Liebe vorspielen
Zurück zu „Make Love Fake Love“. Reality-Star Yeliz Koc, einst durch eine Ohrfeige bei „Der Bachelor“ bekannt geworden, lebt mit mehreren Männern in einer Villa, doch nicht alle sind Single. Während die Männer flirten und knutschen und Yeliz, die erst vor wenigen Monaten gemeinsame mit ihrem Ex-Freund Jimi Blue Ochsenknecht eine Tochter bekommen hat, Zuneigung vorgaukeln müssen, um Richtung Finale zu kommen, schauen die Freundinnen der Vergebenen in einer Villa am Bildschirm zu. Für Geld und Berühmtheit im Reality-Kosmos riskieren sie ihre Partnerschaft und spielen mit den Gefühlen einer Frau. Am Ende muss sich Yeliz Koc entscheiden – entscheidet sie sich für einen Singlemann, bekommen der Mann und Yeliz Koc 50.000 Euro. Entscheidet sie sich für einen Vergebenen, geht das Geld an den Kandidaten und dessen Freundin.
Durch die erzählte Geschichte erleben wir mit, betrogen zu werden oder zu betrügen. Das sind Gefühle, die wir in der eigenen Partnerschaft nicht erleben wollen.
Felix Dietrich, Medienpsychologe
Mit „Make Love Fake Love“ geht RTL noch einen Schritt weiter als bei bisherigen Datingformaten. Bei „Der Bachelor“ war die Kritik noch, dass mehr als 20 Frauen um einen Mann buhlen, der mehrgleisig fährt, und Geschlechterklischees bedient werden. Bei „Adam sucht Eva“ war die Nacktheit so manch einem ein Dorn im Auge. Und bei „Temptation Island“ ging es auch, zumindest indirekt, ums Fremdgehen: In der Sendung werden vier Paare erotischen Versuchungen ausgesetzt, um die angeknackste Beziehung auf die Probe zu stellen. Doch Menschen mit 50.000 Euro dazu verlocken, anderen Gefühle und Liebe vorzuspielen, das ist dann doch neu.
Über Datingshows reflektieren wir unsere eigenen Werte
Nebst Neugier und der Lust auf Drama (bei anderen, nicht bei sich selbst, selbstverständlich) sieht Dietrich, der zu Moralfragen in Reality-Sendungen forscht, auch eine innere Wertediskussion, stellvertretend von den Kandidatinnen und Kandidaten der Shows ausgetragen, wenn es um Lügen, Betrug und Intrigen geht. „Häufig wird befürchtet, dass das Verhalten durch das Zeigen im Fernsehen normalisiert und akzeptiert wird“, sagt er, „aber das ist nicht zwangsläufig so.“
Zwar könnten insbesondere Heranwachsende auch fragwürdige Verhaltensweisen zur Orientierung nutzen, doch viel häufiger würden Zuschauende durch solche Sendungen ihre eigenen Werte reflektieren. „Durch die erzählte Geschichte erleben wir mit, betrogen zu werden oder zu betrügen. Das sind Gefühle, die wir in der eigenen Partnerschaft nicht erleben wollen“, sagt Dietrich. So lassen sich alte Wertestandards überprüfen: Wo fängt Betrug für mich an? Wie viel Lust gestehe ich mir, gestehe ich dem Partner oder der Partnerin zu?
Betrug als Masche für eine Fernsehshow? Kann das funktionieren? „Die Lust an sexuellem Betrug ist eine ganz alte Lust“, sagt Lemke. In zahlreichen Büchern und Theaterstücken gehe es darum, schon immer. Aber hält eine Beziehung das aus? Noch ist es ungewiss, ob Max und Luisa das Geld als Paar verwenden würden, sollte Max gewinnen. Freundin Luisa sieht gemeinsam mit dem TV-Publikum, wie er fremdgeht und vereinbarte Grenzen überschreitet, wie er knutscht und unter der Decke Petting mit Yeliz Koc hat. Tränen über Tränen – und die Frage: Warum tut sie sich das an?
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Auch international boomen Datingformate – ohne moralische Grenzen
Geld und Berühmtheit, das sind wohl die Gründe. Einen gewissen Narzissmus bescheinigt Medienpsychologe Lemke allen Teilnehmenden solcher Reality-Formate. Und davon gibt es offenbar genug, denn auch international herrscht Hochkonjunktur bei den Datingformaten. Auf Netflix ist das Phänomen derzeit wahrscheinlich am deutlichsten zu beobachten. Mit „Perfect Match“ ist dort gerade eine Sendung zu sehen, in der Teilnehmende anderer Netflix-Shows („Too Hot to Handle“, „The Mole“, „The Circle“, „The Ultimatum“ und „Love Is Blind“) erneut die Liebe suchen. Die letzten Folgen der ersten Staffel sind am Dienstag angelaufen, der Tag, an dem auch das Erfolgsformat „Too Hot to Handle“ neu aufgelegt wurde, mit einer Deutschland-Ausgabe.
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Übrigens: Es geht noch deutlich heftiger als in deutschen Datingformaten. Einst ploppte die Idee in einer Folge der Comedyserie „30 Rock“ auf. Eine Fernsehproduktion, die ältere Frauen und junge Kerle (in diesem Fall Schüler) auf eine Insel schickt, „Milf Island“. 15 Jahre später ist das, was einst überzeichnet dargestellt wurde, Realität geworden – Aufschrei inklusive. Bei „Milf Manor“ suchen aktuell Frauen ab 50 Jahren einen deutlich jüngeren Mann – und so ziehen nebst den acht Damen auch deren acht Söhne in die Villen und es wird gegenseitig gedatet.