Auf dem Altenteil: Wie das Fernsehen Senioren in Szene setzt
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Die „Rentnercops“ Bill Mockridge (r.) und Hartmut Volle ermitteln in der ARD.
© Quelle: ARD/Kai Schulz
Das Fernsehen sät und erntet, es hegt und pflegt, düngt und nährt, in einem Wort: Es liebt Stereotype fast so sehr wie seine Quoten. Für Frauen gibt es zwischen Femme fatale und Normale daher seit dem Mädchen Rosemarie oder Inge Meysel kaum Spielräume, Männer kommen entweder als Kerle oder Softies vor, Kinder als Engel oder Bengel. Und ihre Großeltern? Für sie hält das Hauptprogramm in der Regel zwei Aggregatszustände bereit: rüstige oder nervige Seniorinnen und Senioren, beide oft Berufstätige a. D., die der diensthabenden Belegschaft Ratschläge erteilen. Gern ungefragt.
Mittwochs schickt das Erste deshalb in neuen Folgen wieder zwei „Rentnercops“ auf Mörderjagd, die 2015 wegen Personalmangels vom Altenteil ins Kölner Kommissariat zurückbeordert wurden. Dort lösen die grauweißen Wirtschaftswunderkinder zwar Fall um Fall. Sie gehen dem Kollegium der Generation X jedoch auch auf den Keks, hören dazu Altherrenmusik von Rock bis Jazz und verstehen sich per se als fachkundiger. Wie zuletzt Andreas Schmidt-Schallers Ex-Polizist Grawe, der Schwiegersohn Michael im „Polizeiruf“ Halle mal eben den Job erklärt.
Demenz als Standardzustand
Immerhin: Sie alle gehen, hören, verstehen, erklären noch. Denn während Testimonials der öffentlich-rechtlichen Vorabendwerbung selbst als Greise fit wie Turnschuhe sind mit vollem Haar und Flausen im Kopf, herrscht darin nach 20.15 Uhr zusehends Durcheinander. Eingangs der ZDF-Reihe „Nächste Ausfahrt Glück“ war Ernst Stötzners Altkommunist Willi daher bloß ein starrsinniger Freak, bevor ihn das fernsehtypische Altersleiden schlechthin ereilte: Demenz.
Seit Didi Hallervorden mit „Honig im Kopf“ 2014 sein Comeback feierte, entwickelt sich die neu definierte Volkskrankheit im Fernsehen gefühlt zum großelterlichen Standardzustand. Erst Anfang März hatte Ulrike Krumbiegel in der Degeto-Reihe „Käthe und ich“ Honig im Kopf, während Kommissar Thiel sich im „Tatort“ Münster 48 Stunden später zum 43. Mal für seinen Vater, den bekifften Alt-68er Herbert, schämte. Da wären sie wieder – die zwei Pole handelsüblicher TV-Senioren.
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Schon in der „Lindenstraße“ waren Silver-Ager 1000 Folgen lang Nazis (Onkel Franz) oder Drachen (Else Kling), bevor Harry Rowohlts Alter Ego das Altersspektrum um die Alm-Öhi-bärtige Ulknudel erweiterte. Dazwischen genießt zwar ein Heer viriler Märchenbuchpensionäre in Bilderbuchkulissen vom „Traumschiff“ über Granufink-Werbung nach Cornwall den Lebensabend im Kreis seiner Lieben. Doch halbwegs normale Rentnerinnen und Rentner werden im Kreise verhaltensauffälliger Senioren mit großer Familie, Harley und Mitteilungsbedürftigkeit selten.
Wo sind die halbwegs normalen TV-Rentner?
Alte, die kontaktscheu sind, ohne allein zu sein, oder allein, aber nicht einsam, die extrovertiert sind, ohne exzentrisch zu sein, oder exzentrisch, aber nicht peinlich, die agil sind, ohne flott zu sein, oder flott, aber nicht athletisch, Menschen also, die im Ruhestand ohne viel Aufhebens weder laut noch leise sind, aktiv noch passiv, arm noch reich – von denen gibt es auf dem Bildschirm unter all den Lichtgestalten im habituellen bis medizinischen Randbereich viel zu wenige. Stattdessen wird „Der Alte“ künftig von Thomas Heinze verkörpert, dessen Berufsjugendlichkeit so wenig mit seinem Vorvorvorvorgänger Siegfried Lowitz zu tun hat wie Jutta Speidel mit Bertha Krupp. Im ARD-Achtteiler „Tage, die es nicht gab“ traktiert sie als abgedankte Seniorchefin Juniorchefin Doris, die also ausbaden muss, dass ihre Alte mit dem Alter hadert.
Vielleicht liegt es ja an derlei eindimensionaler Fiktionalisierung, dass die Generation 60 plus statistisch gesehen lieber Tier- und Wissenschaftsdokus, gefolgt von Reisereportagen, sieht als Krimis oder Dramen. Wer will sich selbst schon ständig als Ballast betrachten?
„Rentnercops“, ARD, mit Hartmut Volle und Bill Mockridge, immer mittwochs, 18.50 Uhr