Männliche Bodypositivity: Zeigt her eure Bäuche!
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Robert Lindemann, Fotograf und Darsteller, zeigt sich in seinem Erotikkalender.
© Quelle: Patrick Schwalb
Alle Körper sind schön. Schlanke, runde, drahtige, weiche – und die mannigfaltigen Körperformen dazwischen. Das ist das Motto der Bodypositivity-Bewegung, die seit den 2010er-Jahren aus den sozialen Medien in die Werbebranche geschwappt ist. Bei Instagram, in Büchern, in Interviews geht es um Selbstliebe und Selbstakzeptanz. Doch bei den vielen Errungenschaften wie einer größere Sichtbarkeit diverser Körperformen auf den Werbetafeln dieses Landes hat die Sache einen Haken. Denn die Bewegung ist vor allem in der weiblichen Welt sichtbar. In der Werbung sehen wir vermehrt Frauen, die mit weichen Körpern Unterwäsche bewerben. Wir sehen sie inzwischen auch bei „Germany‘s Next Topmodel“, Heidi Klum hat 2022 mit Lou-Anne Gleißenebner-Teskey ein „Curvy Model“ zur Gewinnerin gekürt, nachdem ihre Einschaltquoten nach anhaltender Kritik über die gezeigten Schönheitsideale in den Keller gingen.
Vorbilder hat sie zuhauf: Angelina Kirsch oder Ashley Graham sind international gefragt. Doch wie sieht es bei Männern aus? Männer mit Bauch, wo seid ihr? Wo sind die männlichen Plus-Size-Influencer? Wo sind die männlichen Plus-Size-Models? Wo sind die Männer mit Bauch in der medialen Öffentlichkeit?
„brawny“ statt „curvy“
Wer sich auf die Suche begibt, wird tatsächlich nur sporadisch fündig: Da ist Steven Green, Fotograf, Model und selbst ernannter kreativer Entrepreneur. Er posierte 2020 entspannt und selbstsicher in den Unterhosen von Rihannas Savage X Fenty Kollektion. Er wird als „brawny“, als kräftig, bei seiner Modelagentur Bridge Agency bezeichnet. Die weltgrößte Modelagentur MGM hat eine Handvoll kräftige Männer im Angebot. Und dennoch: Es sind einzelne Leuchttürme. Wer bei Instagram #bodypositivity eingibt, sieht vor allem kurvige Frauen. Und die Männer? Wenn sich welche einschleichen, posieren sie überraschenderweise durchtrainiert vor Fitnessstudio-Spiegeln.
„Es gibt wenige Männer, die sich in den Medien für Bodypositivity einsetzen“, sagt Robert Lindemann, 32 Jahre, Fotograf, Model und Bauchbesitzer, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Der Hamburger bringt seit vier Jahren einen Erotikkalender mit Nacktfotos von sich heraus. Der 32-Jährige hat sich damit eine kleine, aber feine Fangemeinschaft in den sozialen Medien aufgebaut. Inzwischen hat er etwas mehr als 30.000 Follower bei Instagram. Zum Vergleich: Die Body-Positivity-Aktivistin Charlotte Kuhrt hat etwa 175.000 Follower.
Gleichberechtigung: Alle müssen schön sein
Über die Frage, was er an sich schön findet, lacht er beim Videocall freudig. „Ich finde meine Haare besonders schön. Und mein Gesicht. Ich habe ein freundliches Gesicht“, sagt der Hamburger nach kurzer Überlegung. Er habe niemals geplant, sich bewusst für Bodypositivity bei Männern einzusetzen. Er sei da eher einfach so hereingerutscht. Die Kalenderfotos seien nebenbei entstanden – Hauptjob sei für ihn immer noch die Arbeit hinter der Kamera.
„Es war gar nicht mein Plan, als eine Art Posterboy für Bodypositivity einzustehen, aber inzwischen bekomme ich gerade im Netz auch ganz viele positive Reaktionen von Männern“, sagt er und merkt mit schmunzelndem Stolz an: „Ich merke, dass ich durchaus einen positiven Einfluss habe.“ Doch noch immer käme das das Gros des Feedbacks von Frauen.
Warum interessieren sich Frauen offenbar mehr für die Darstellung von Körpern? Das ist der gesellschaftliche Druck. Frauen werden viel mehr nach Äußerlichkeiten beurteilt – trotz neuer Bewegungen. Aber inzwischen ist Bodypositivity auch bei Männern ein Thema. Der sogenannte „Dadbod“ ist inzwischen auch in Mode, wie man beispielsweise bei Instagram sieht, glaubt Lindemann.
Laut Gender- und Bildungsforscherin Melanie Kubandt von der Universität Osnabrück ist Aussehen inzwischen auch für Männer wichtig. Gleichberechtigung führe nicht etwa dazu, dass Schönheit grundsätzlich nicht mehr wichtig sei, sondern dass unerreichbare Schönheitsideale für Frauen wie Männer gelten. „Gleichberechtigung bedeutet heute nicht, dass Frauen vom Schönheitswahn entbunden werden, sondern dass nun alle alles können müssen. Männer müssen ebenfalls schön sein, Frauen ebenso erfolgreich wie Männer“, sagt sie im Gespräch mit dem RND. Und Schönheit sei meist exklusiv: Also das, was es nur wenig gebe.
Selbstsicherheit und Selbstliebe
Der US-Schauspieler Jonah Hill hat sich in Interviews immer wieder zum männlichen Körper zu Wort gemeldet. Bei Instagram – inzwischen hat er dort sein Profil gelöscht – schrieb er vor zwei Jahren: „Ich glaube nicht, dass ich jemals mein Shirt in einem Pool ausgezogen habe, bis ich Mitte 30 war, selbst vor Familie und Freunden. Wahrscheinlich wäre es früher passiert, wenn meine Kindheitsunsicherheiten nicht durch jahrelangen öffentlichen Spott über meinen Körper in der Presse verschärft worden wären“, schrieb er dort. Mit 37 würde er sich selbst endlich lieben und akzeptieren.
In anderen Interviews, mit mit dem Magazin „GQ“ beispielsweise, berichtet er, dass immer noch Menschen überrascht seien, dass er als fülliger Mann eine große Liebe zu Modedesign pflege. Wenn man übergewichtig sei, sei es wirklich schwierig, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu kleiden, da Kleidung mit Stil nicht für Menschen mit Übergewicht sei. Und wenn es um seine Designliebe gehe, käme vor allem: „Dieser Typ? Dieser moppelige Typ aus „Superbad“?“
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Robert Lindemann auf einem Motiv seines Kalenders.
© Quelle: Jaan-Eric Fischer
Lindemann hat keinerlei Unsicherheiten in Bezug auf seinen Körper und dessen Zurschaustellung. „Dad bod“, also Papa-Körper, wird der Körper des Mannes genannt, der mit Bauch kräftig, aber nicht muskulös gestählt ist. Die Selbstsicherheit vor der Kamera ist ihm anzusehen. Er lehnt sich mit geschlossenen Augen in die Meeresbrise, er posiert lässig-lasziv in Feinrippwäsche zu Sonnenuntergang. „Als Teenager war ich unsicher wie alle anderen auch. Ich hatte das Gefühl, dass alle anderen viel weiter seien, und hab darauf gewartet, dass mir endlich Haare unter der Achsel wachsen“, erzählt Lindemann mit einem Schmunzeln. Doch habe das nicht so viel mit Körpergewicht zu tun. „Erst seitdem ich so Anfang zwanzig bin, habe ich auch ein bisschen Bauch. Ich habe mich aber immer gut und wohl gefühlt.“ Seine schiere Selbstsicherheit ist ihm anzumerken. Ein paar Stunden vor dem Interview hat er gerade erst wieder Fotos für den Kalender gemacht, in dem Haus eines Bekannten in Kapstadt. Voller Begeisterung erzählt er von dem Shooting: „Dort lag ich im Pool und wir haben Blumenblüten über mich gestreut – quasi wie beim Film ‚American Beauty‘. Das ist ja auch ein ikonisches Motiv. Mir macht das richtig Spaß. Ich fühle mich vor der Kamera deutlich wohler als dahinter.“
Vielleicht gibt es nur wenige männliche Vorbilder für den positiven Umgang mit allen Körperformen. Doch braucht es nur ein Vorbild: „Aus der Resilienzforschung wissen wir: Es reicht bereits ein einziges Vorbild, damit sich ein Kind beim Heranwachsen von klischeehaften Rollenbildern lösen kann“, weiß die Wissenschaftlerin Kubandt. Jede Bewegung hat mal klein angefangen.