Wegschauen und vertuschen: die DNA des Machtmissbrauchs in der Kirche
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Zwei Türme des Freiburger Münsters zeichnen sich vor dem Abendhimmel ab.
© Quelle: Philipp von Ditfurth/dpa
Der Freiburger Bericht über sexuellen Missbrauch durch Geistliche hat zweifellos Abgründe des Machtsystems Kirche offengelegt. Es sind jedoch keine neuen Tiefen des Wirkens kirchlicher Würdenträger. Das Gutachten für das Erzbistum Freiburg liest sich wie eine Fortsetzung der bekannten Analysen aus anderen deutschen Bistümern: Die Verantwortlichen handelten verantwortungslos bis kriminell, um die Institution Kirche zu schützen.
Interessant ist, wie nahe der Missbrauchsskandal nun an die Führungsstrukturen der Deutschen Bischofskonferenz rückt. Der frühere Erzbischof Robert Zollitsch war bis 2014 Vorsitzender des Gremium, das sich spätestens seit 2010 in größerem Umfang mit Sexualdelikten in katholischen Einrichtungen beschäftigen musste. Zollitsch zeigte in dieser Zeit „konkretes Vertuschungsverhalten“, so die Gutachter. Der Erzbischof fuhr also zweigleisig.
Einsame Entscheidungen
Dabei hat der Kirchenfürst alles unterlassen, was kirchenrechtlich vorgeschrieben war. Auf eigentlich verpflichtende Meldungen von Missbrauchsfällen nach Rom hat Zollitsch komplett verzichtet. „Nichts ist passiert, alles lief so wie immer“, sagte der Vorsitzende der Aufarbeitungskommission, der Freiburger Theologe Magnus Striet. Ein rechtzeitiges Melden an staatliche und kirchliche Behörden hätte zahllosen Kindern, Jugendlichen, Familien und Gemeinden Leid erspart.
Damit bringt der pensionierte Richter so ziemlich alles auf den Punkt, was in der Kirche schief lief und womöglich auch noch schiefläuft. Das Prinzip der einsamen Entscheidungen in der katholischen Kirche stärkt die DNA des Machtmissbrauchs, das Wegschauen und Vertuschen. Dazu gehören Ignoranz des Offensichtlichen, die Verweigerung der Kooperation mit staatlichen Ermittlern, die „Sicherung“ oder Vernichtung von Akten.
Reformen zu langsam
Weil die Kirche zum Schutzraum für Täter und zur Hölle für Kinder geworden ist, wie der Betroffenenberat der Erzdiözese Freiburg es formuliert, hat sie aus gutem Grund das Vertrauen bei vielen Menschen verloren. Daran ändern auch Reformen wie der Synodale Weg wenig, denn der Prozess ist – auch aus Rücksicht auf die Belange der Weltkirche – zu langsam, zu wenig radikal.
Die nächsten Gutachten werden zu ähnlichen Feststellungen kommen, das ist sicher. Strafrechtlich sind viele der Taten verjährt. Interessant ist, ob der Vatikan die Berichte aus Deutschland weiterhin so nonchalant hinnimmt wie bisher. Über mögliche kirchenrechtliche Konsequenzen für Geistliche wie Zollitsch kann nur der Heilige Stuhl entscheiden. Die Erwartungen sind gering.