Fall Luise F.

Wie der Identitätswechsel nach einer Straftat funktioniert

Beim Klingelschild fängt es an: Namensänderungen sind in Deutschland durchaus möglich (Symbolbild).

Beim Klingelschild fängt es an: Namensänderungen sind in Deutschland durchaus möglich (Symbolbild).

Nach dem Tod von Luise F. haben die Familien der zwei jungen mutmaßlichen Täterinnen Freudenberg verlassen. Die beiden Mädchen selbst sind in der Obhut des Jugendamtes. Nachdem in den sozialen Medien, unter anderem bei Tiktok, die echten Namen der Jugendlichen öffentlich gemacht wurden, ist ihre Identität nun bekannt. Auch wenn die Konten mitsamt Kommentaren gelöscht wurden, sind die Namen nun durch Screenshots und neue Postings in der erinnerungswütigen Welt des Internets.

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Eine Rückkehr nach Freudenberg sei für die Familien laut der „Siegener Zeitung“ quasi nicht mehr denkbar. Aber ein Neustart in anderen Orten – geht das? Laut Landrat Andreas Müller sei es möglich, die Identität zu wechseln, um in der Anonymität neu zu beginnen. Die sei aber „aktuell nicht vorgesehen“.

Wie aber kann man nach einer Straftat in die Anonymität wechseln? Dies ist im Namensänderungsgesetz geregelt. Genauer interessiert hier Paragraph 3: „Ein Familienname darf nur geändert werden, wenn ein wichtiger Grund die Änderung rechtfertigt.“ Was als „wichtiger Grund“ ausreicht, ist nicht definiert. Doch: Letztendlich entscheidet das zuständige Ordnungs- oder Standesamt, ob der Name geändert werden darf. „Dabei sollen insbesondere außer den unmittelbar Beteiligten die zuständige Ortspolizeibehörde und solche Personen gehört werden, deren Rechte durch die Namensänderung berührt werden“, heißt es im offiziellen Gesetzestext.

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Straftäter änderten Namen während der Haftzeit

In Deutschland werden zum Schutze der Persönlichkeitsrechte Namen in der Regel bei Straftaten nicht vollständig veröffentlicht – anders als beispielsweise in den USA. Nur in seltenen Fällen ist der Öffentlichkeit der vollständige Name bekannt – so war es etwa auch bei dem Geiselnehmer von Gladbeck, der 1988 bei seiner Straftat live mit seinem Namen vor die Kameras trat. Der Name Dieter Degowski wird im kollektiven Gedächtnis immer mit der Tat in Verbindung gebracht werden.

Während seiner Haftzeit beantragte Degowski eine Namensänderung, um nach der Haftentlassung einfacher nach Wohnung und Arbeit suchen zu können. 2018 wurde Degowski aus der JVA Werl entlassen – mit neuem Namen. Auch Magnus Gäfgen, der 2003 den Sohn der Bankiersfamilie von Metzler entführt und schließlich getötet hat, soll während der Haft einen neuen Namen beantragt haben. Doch auch der neue Name geistert bereits durchs Netz.

Identitätsänderung kann lebensrettend sein

Für andere Personen kann eine Identitätsänderung lebensrettend sein: Volker Speitel beispielsweise sagte als ehemaliges Mitglied der Roten Armee Fraktion (RAF) über die Todesnacht von Stammheim aus. Nachdem Speitel 1979 entlassen wurde, nahm ihn das Bundeskriminalamt in ein Zeugenschutzprogramm auf. Seitdem musste er seine Tarnidentität erneuern, da sie aufgedeckt wurde.

Mordfall Luise: Ermittler gehen gegen Falschmeldungen vor
16.03.2023, Nordrhein-Westfalen, Freudenberg: Ein Kondolenzbuch liegt neben Blumen und Kerzen in einer Kirche aus. An der Schule des getöteten zwölfjährigen Mädchens Luise im südlichen Nordrhein-Westfalen sollen die Schülerinnen und Schüler nach ausführlichen Gesprächen allmählich wieder nach Stundenplan unterrichtet werden. Luise war am 11. März 2023 mit zahlreichen Messerstichen getötet worden. Foto: Oliver Berg/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Offenkundig gebe es besonders in den sozialen Medien Spekulationen, die sich nicht mit dem aktuellen Stand der Ermittlungen decken würden.

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Doch gehen nicht nur mutmaßliche Täter, die gegen Mitangeklagte aussagen, in ein Zeugenschutzprogramm. Opfern können Zeugenschutzprogramme überhaupt die Möglichkeit eröffnen, auszusagen, ohne Angst um Leib und Leben zu haben. Da geht es nicht nur um einen neuen Namen, sondern auch um die Konstruktion einer ganz neuen Herkunftsgeschichte. Dabei kann es sich aber auch um Tarnidentitäten handeln. Verantwortlich dafür ist nicht das Standesamt, sondern das Bundeskriminalamt oder die entsprechenden Landeskriminalämter.

Aussteiger aus dem Zeugenschutzprogramm

Bekannt sind vor allem Geschichten von Aussteigern von Zeugenschutzprogrammen – von erfolgreichen Fällen erfährt die Öffentlichkeit naturgemäß nichts. Nourig Apfeld beispielsweise erstattete Anzeige wegen des Ehrenmords an ihrer Schwester Waffa, die 1993 von Verwandten getötet wurde. Der Vater der beiden Frauen wurde nach einer Anzeige Apfelds verurteilt – doch Apfeld stieg aus dem Zeugenschutzprogramm aus. „Ich fühlte mich ausgeliefert und machtlos“, wird sie in einer Doku des ZDF zitiert.

Ein Grund für die Identitätsänderung muss nicht ein Neustart nach einer Straftat sein – er kann auch ganz anderer Natur sein. Beispielsweise kann man wegen einer Verwechslungsgefahr den Namen ändern, wenn dies zu konkreten Schwierigkeiten führt. Oder sollte der Name anstößig oder lächerlich klingen, könnte er grundsätzlich geändert werden. Auch Transpersonen können ihren Namen – und ihre geschlechtliche Identität im Pass – ändern. Allerdings greift hier das Transsexuellengesetz. Das Gesetz ist zur Zeit in Diskussion, doch zur Zeit müssen transidente Menschen zum Amtsgericht, Formulare einreichen und später zu einer Anhörung.

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