Anwältin über Femizide: „Es sind keine ‚Familiendramen‘, es sind Morde“
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„Jeden 3. Tag wird eine Frau von ihrem (Ex)Partner ermordet“: Graffiti in einer Unterführung am Auwald.
© Quelle: Foto: André Kempner
Wird eine Frau getötet, weil sie eine Frau ist, soll das nach Willen der SPD künftig als Femizid anerkannt und regelmäßig als Mord aus niedrigen Beweggründen mit einer lebenslangen Haft bestraft werden. Christina Clemm ist Straf- und Familienanwältin in Berlin. Seit mehr als 25 Jahren vertritt sie Menschen, die von geschlechtsspezifischer, sexualisierter, rassistischer, LGBTIQ-feindlicher oder rechtsextrem motivierter Gewalt betroffen sind. Sie sieht in dem SPD-Vorstoß ein gutes Zeichen aber nicht die Lösung aller Probleme.
Frau Clemm, die SPD will Femizide in Zukunft unter härtere Strafen stellen. Welche Rolle spielen Femizide in Deutschland?
Jeden dritten Tag stirbt in Deutschland eine Frau. Alle eineinhalb bis zwei Tage gibt es einen Tötungsversuch gegen eine Frau. Ungefähr alle drei Minuten zeigt eine Frau Gewalt durch ihren Partner an. Es sind sehr viele Frauen andauernd von geschlechtsbezogener Gewalt betroffen. Femizide sind also die stärkste Form von Gewalt – es gibt unzählige andere Formen von geschlechtsspezifischer Gewalt vorher.
Obwohl so viele Frauen betroffen sind, sind Femizide und Gewalt gegenüber Frauen oft nur am Weltfrauentag ein Thema. Wie bewerten Sie das?
Ich finde es falsch, dass Gewalt gegen Frauen immer nur am 8. März und am 25. November, dem internationalen Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen, thematisiert wird. Sie müsste jeden Tag eine große Rolle spielen. Es braucht viel mehr und andauernde Bemühungen, um diese Gewalt tatsächlich zu bekämpfen. Jede einzelne Frau in diesem Land läuft Gefahr, geschlechtsbezogene Gewalt erleiden zu müssen. Dafür passiert viel zu wenig.
Die SPD möchte jetzt handeln. Sie schlägt vor, Femizide in Zukunft rechtlich auch als Mord und nicht als Totschlag zu verfolgen. Halten Sie das für sinnvoll?
Das kommt aufs Detail an. Es gibt Femizide, die auch jetzt schon als Mord verurteilt werden. Aktuell gibt es eine uneinheitliche Rechtsprechung. Sie besagt etwa, dass die Tötung durch einen Täter, der von einer Frau verlassen wurde, durchaus nachvollziehbar und deshalb nicht besonders verwerflich sei. Es könne aus Verzweiflung geschehen sein und dann liege auch kein niedriger Beweggrund vor, der für eine Mordverurteilung erforderlich ist. Richtig wäre hingegen, die besondere Niedrigkeit festzustellen, denn aus den Tötungen spricht das Besitzanspruchsdenken der Täter. Man könnte also schon das bestehende Gesetz richtig anwenden, aber es wird nach dem patriarchalen Wertesystem geurteilt, nachdem Frauen sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten haben. Wenn sie dagegen verstoßen, wird das Handeln der Täter von einem Großteil der heutigen Rechtsprechung verstanden und deshalb als nicht niedrig angesehen. Richtig wäre, klarzustellen, dass geschlechtsspezifische Tötungen – also Femizide – Morde sind. Wie im Übrigen auch solche aus Gründen von Rassismus, LGBTIQ-Feindlichkeit, Ableismus und sonstiger Menschenfeindlichkeit.
Wie lässt sich das umsetzen?
Wir bräuchten dann auch Richter und Richterinnen, die erkennen, welche Tötungen aus frauenverachtenden Gründen erfolgen und die nicht mehr annähmen, dass bestimmte Tötungen doch aus Liebe erfolgen. Bisher gibt es keine Fortbildungsverpflichtungen – die bräuchten wir dringend. Am Ende ist es auch eine billige, preiswerte Forderung, ein Gesetz zu verschärfen. Was wirklich wichtig wäre, ist, Ressourcen zu schaffen, damit diese Tötungsdelikte nicht mehr geschehen. Dass wir endlich flächendeckende Hochrisikoeinschätzungen, echten Schutz, genügend Frauenhausplätze und Beratungsstellen haben.
Wenn jemand dazu bereit ist, ein Tötungsdelikt zu begehen, dann wird er nur in absoluten Ausnahmefällen vorher nachlesen, ob er dafür lebenslang oder langjährig in Haft bekommt.
Christina Clemm,
Straf- und Familienanwältin
Würde das Gesetz also zu spät greifen?
Ja, natürlich. Kein Täter wird sich von so einer Tat deshalb abhalten lassen, weil er nur wegen Totschlags und nicht wegen Mordes verurteilt wird. Das hat eher gesamtgesellschaftliche Symbolwirkung, wenn jetzt jemand, der das Geld von einem anderen Menschen nehmen will, wegen Mordes verurteilt wird, aber ein Ehemann, der von seiner Frau verlassen wurde und sie deswegen tötet, nur eine Freiheitsstrafe wegen Totschlags erhält. Die besondere Verwerflichkeit klarzustellen ist wichtig, aber das hilft uns am Ende nicht weiter in der effektiven Bekämpfung geschlechtsbezogener Gewalt. Weiter hilft uns, wenn endlich genügend Prävention stattfindet, wenn endlich in diesem Land, und zwar nicht nur am 8. März und nicht nur am 25. November, darüber gesprochen wird, wie massiv gewalttätig diese Gesellschaft gegenüber Frauen ist.
Könnte eine härtere Bestrafung mit eventuell lebenslanger Haft trotzdem einen Effekt auf künftige Täter haben?
Nein, das glaube ich nicht. Wenn jemand dazu bereit ist, ein Tötungsdelikt zu begehen, dann wird er nur in absoluten Ausnahmefällen vorher nachlesen, ob er dafür lebenslang oder langjährig in Haft bekommt. Aus meiner Sicht wäre es wichtig, viel früher anzusetzen. Also unter anderem die Kapazitäten bei den Ermittlungsbehörden zu erhöhen und Verfahren zu häuslicher Gewalt sehr viel schneller zu bearbeiten. Die wenigsten Femizide haben keinen Vorlauf, es gab meist Partnerschaftsgewalt vorher. Wenn man schnellere Verfahren und damit Konsequenzen durchsetzt, würde das helfen.
Das Familienrecht ist insofern auch wichtig: Wenn es Gewalt gegen die Mutter gibt, dann können wir nicht einfach so tun, als sei das ein singuläres Problem, das der Mann mit seiner Frau hat und ansonsten sei alles in Ordnung. Es muss meines Erachtens dann Einschränkungen des Umgangsrechts mit den Kindern geben, denn jemand, der die Mutter der Kinder schlägt ist nicht erziehungs- und umgangsfähig.
Sind Femizide in Ihrer Arbeit als Straf- und Familienanwältin das Hauptproblem? Oder anders gefragt: Mit welchen Problemen kommen Frauen zu Ihnen?
Ich vertrete Angehörige von Frauen, die ermordet worden sind, und Frauen, die Opfer von Tötungs- oder Mordversuchen geworden sind. Da geht es also um Femizide oder versuchte Femizide. Vor allem aber vertrete ich viele Frauen, die geschlagen, beleidigt, bedroht, misshandelt und auch vergewaltigt worden sind. Häufig vertrete ich Frauen, die gerade geflohen und in einem Frauenhaus, in Schutzwohnungen oder bei Freundinnen untergekommen sind. Wenn sie gemeinsame Kinder mit den Tätern haben, gibt es viele rechtliche Probleme. Denn dann läuft auf der einen Seite möglicherweise ein Ermittlungs- oder Strafverfahren und auf der anderen Seite ein familienrechtliches Verfahren – da geht es um Umgangs- und Sorgerecht. Die Täter klagen also einen Umgang mit den Kindern ein. Das sind besonders schwierige Situationen, weil häufig jeder Gewaltschutz außer Kraft gesetzt ist. Das bedeutet, dass die Frauen ihre Adressen nicht mehr geheim halten können, weil es immer wieder Orte gibt, an denen sie mit dem Mann wegen der Kinder aufeinandertreffen können. Das ist wirklich gefährlich.
Trennungen sind nur ein Grund für Femizide. Was sind weitere?
Schwangerschaften oder Liebschaften, zum Beispiel. Auch alle Formen der Emanzipation, wenn die Frau zum Beispiel einen Karriereschritt macht, wenn sie für sich Veränderung vollzieht, die der Mann nicht wünscht. Das sind Risikofaktoren.
Gibt es den Prototyp Mann, der solche Taten begeht?
Nein, den gibt es nicht. Die Täter gehören allen Klassen, Herkünften, Altersgruppen an. Es gibt nicht nur Femizide in Partnerschaften, sondern auch Tötungen von Frauen in politischen Kontexten, etwa von rechtsextremen Tätern, es gibt Femizide von Feministinnen, Politikerinnen, Sexarbeiterinnen, von trans Personen, von queeren und behinderten Menschen.
Würde ein härteres Strafmaß denn etwas für Ihre Klientinnen verändern? Und hätte es auch einen gesellschaftlichen Aspekt? Häufig wird im Zusammenhang mit Femiziden von Ehrenmorden oder Familiendramen gesprochen.
Es sind keine Familiendramen, es sind keine Eifersuchtsdramen, es sind Morde und damit sind es Femizide. Für die Betroffenen ändert sich etwas, wenn es tatsächlich gesamtgesellschaftlich kein Verständnis mehr gibt. Und zwar nicht erst bei den Femiziden, sondern bei aller geschlechtsbezogenen Gewalt. Wenn es kein Verständnis für die Täter gibt, wenn es keine Bagatellisierung der Taten gibt, wenn sie auf jeder Ebene geächtet werden. Aber: Für den Großteil meiner Mandantinnen ist das am Ende nicht der entscheidende Faktor, ob jemand wegen Totschlags oder Mordes verurteilt wird. Der entscheidende Faktor ist, dass schnell für die Täter eine Konsequenz spürbar ist, das Unrecht anerkannt wird und sie geschützt werden.
Das bedeutet nicht unbedingt eine besonders lange Haftstrafe. Denn wir alle wissen, dass die meisten Männer nicht besser aus der Haft herauskommen, als sie reingegangen sind. Es braucht rasche Interventionsmöglichkeiten. Dass Täter wissen, sie dürfen diese Taten nicht wieder begehen, und dass sie auch gesellschaftlich erfahren, dass es nicht in Ordnung ist, wenn man seine eigene Frau oder auch eine fremde Frau schlägt.
Was muss sich gesellschaftlich verändern, damit Femizide verhindert werden können?
Es ist doch erstaunlich – jeder kennt in seinem Umfeld eine Frau, die Opfer von Gewalt geworden ist. Aber niemand kennt irgendwelche Täter. Die tauchen nicht auf, die gibt es nicht – alle tun so, als wären das andere, die nichts mit uns zu tun haben. Das wird dann auch häufig noch rassistisch konnotiert. Aber das ist falsch, wir müssen endlich wahrnehmen, dass die Täter auch unter uns sind und das etwas mit Männlichkeit zu tun hat. Es gibt einen sehr richtigen Satz, der heißt: „Schützt nicht eure Töchter, erzieht eure Söhne.“ Welchen Blick auf Männlichkeit haben wir? Was wird eigentlich geduldet? Wann ist Stärke nicht mehr in Ordnung? Es muss angemessen bestraft werden, wenn jemand einen Femizid begeht. Das steht außer Frage. Aber das reicht eben nicht.