Nicht mehr nur gefühlt – Russlands Wandel zur lupenreinen Diktatur
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Polizisten gehen in St. Petersburg während eines Protestes gegen die russische Teilmobilisierung gegen Demonstranten vor.
© Quelle: Uncredited/AP/dpa
Eine Frage, die vor allem die Politikwissenschaft beschäftigt: In welcher Staatsform wird Russland regiert? Bereits vor Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine wurde Russland in den Medien mitunter als „gelenkte Demokratie“, Autokratie, wegen der ausufernden Korruption auch gern mal als Kleptokratie bezeichnet.
Ich glaube, dass er ernsthaft sein Land auf eine wirkliche Demokratie hin orientiert.
Gerhard Schröder 2012 über Putin
Dass es sich dort um keine Demokratie mehr handelt, schon gar keine lupenreine, wie von Ex-Kanzler Gerhard Schröder 2012 nochmals in einem Interview mit dem Deutschlandfunk bekräftigt – dafür gibt es jetzt auch belastbare Zahlen.
So kommen die Autorinnen und Autoren des Democracy Index 2022 des britischen Magazins „The Economist“ zu dem Ergebnis: „Russland befindet sich seit Langem auf einem Weg weg von der Demokratie und akquiriert nun viele Merkmale einer Diktatur.“ In dem jährlich erstellten Ranking fiel Russland um 22 Plätze – und damit so stark wie weltweit kein zweites Land. Das größte Land der Erde befindet sich damit 31 Jahre nach dem Ende der Sowjetdiktatur weltweit auf Platz 146. Mit einem Wert von 2,28 (von zehn möglichen) Punkten liegt Russland knapp hinter den afrikanischen Staaten Guinea und Sudan.
Schlechter als in Russland sieht es, was Pluralismus, Wahlmöglichkeiten, politische Mitbestimmung, das Funktionieren einer Regierung, persönliche Freiheiten und die politische Kultur insgesamt betrifft, europaweit nur noch in Belarus aus. Das Regime von Diktator Alexander Lukaschenko verlor im Vergleich zum Vorjahr aber lediglich sieben Plätze, liegt jetzt auf Platz 153 knapp vor dem Iran.
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„Russland verzeichnete den größten Punkterückgang aller Länder in der Welt im Jahr 2022. Seine Invasion in der Ukraine wurde zu Hause von umfassender Repression und Zensur begleitet“, schreiben die Autorinnen und Autoren der Studie. „Der Krieg hat zu einer deutlichen Zunahme der staatlichen Repression gegen alle Formen von Widerspruch geführt und zur Konzentration der personifizierten Macht, was Russland in eine regelrechte Diktatur drängt“, heißt es im Begleittext weiter.
2011 vom „hybriden Regime“ zum autoritären System
Russlands Abstieg begann bereits 2011, als der Status im Index von einem „hybriden Regime“ zu einem autoritären System wechselte.
Auch um die ukrainische Demokratie steht es nicht gut. Das Land verschlechterte sich im Vergleich zum Vorjahr aber lediglich um einen Rang auf Platz 87. „Drei Jahrzehnte lang hat Russland einen langen Schatten auf die demokratische Entwicklung der Ukraine geworfen, doch das Land leidet auch unter einer Reihe hausgemachter Defizite“, heißt es in der Studie. Mit 5,42 von zehn möglichen Punkten wird die ukrainische Demokratie bewertet.
So wurde die Ukraine nach der Orange Revolution von 2004, als wichtige demokratische Reformen eingeleitet wurden, mit einem ordentlichen Demokratieindex von 6,94 als „mangelhafte Demokratie“ eingestuft und rangiert unter den Top 50 der Welt. Nach den Maidan-Protesten 2010 und der russischen Krim-Okkupation 2014 stürzte die Ukraine im „Demokratie-TÜV“ jedoch ab. Vor allem wurde das mit der Regentschaft des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch (2010–2014) in Zusammenhang gebracht. Ab 2011 wurde das Land nur noch als „hybrides Regime“ bewertet.
Als Präsident Wolodymyr Selenskyj 2019 ins Amt kam, lag die Ukraine weltweit auf Rang 78. Danach ging es – auch unter dem Eindruck des schwelenden Konflikts um die bereits von Russland besetzte Ostukraine – kontinuierlich abwärts: Auf Platz 79 (2020) und 86 (2021).
Demokratieprimus Norwegen
Zurück zu Schröders „lupenreiner Demokratie“: Mit 9,81 von zehn möglichen Punkten ist Norwegen wie schon im Vorjahr der demokratische Musterschüler der Staatengemeinschaft, gefolgt von Neuseeland (9,61) und Island (9,52). Deutschland (8,8) hat sich um einen Rang auf Platz 14 verbessert, zeigt im Vergleich zum Umfeld vor allem im Feld „Pluralismus und Wahlen“ Schwächen, vermutlich auf existierende Sperrklauseln für Kleinstparteien bezogen.