Newsletter „What’s up, America?“

Die unterschätzten Staaten von Amerika

Große Mächte, kleine Chips: Der Wettbewerb um die globale Führungsrolle wird sich auf dem Feld von Informationstechnik und künstlicher Intelligenz entscheiden.

Große Mächte, kleine Chips: Der Wettbewerb um die globale Führungsrolle wird sich auf dem Feld von Informationstechnik und künstlicher Intelligenz entscheiden.

Artikel anhören • 12 Minuten

Liebe Leserinnen und Leser,

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

die amerikanische Politik macht es wieder mal spannend – auch für den Rest der Welt.

Zwar haben US-Präsident Joe Biden und der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, einen Deal zur Schuldenbremse ausgehandelt. Doch ob das komplizierte Kompromisspaket die nötige Mehrheit im Kongress findet, muss sich in dieser Woche erst noch zeigen. Wenn nicht, könnte die politische Blockadesituation in Washington eine vorübergehende Zahlungsunfähigkeit der USA nach sich ziehen – was katastrophale Turbulenzen an den globalen Finanzmärkten auslösen könnte.

Kein anderes westliches Land würde sich einen so halsbrecherischen finanzpolitischen Unfug leisten wie die USA. Jeder Staat mit freien Märkten meidet normalerweise schon den Anschein seiner Zahlungsunfähigkeit wie der Teufel das Weihwasser. Wie kommt es, dass die politischen Akteure in den USA sich dennoch so gelassen zeigen?

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Willkommen zu unserem Newsletter „What’s up, America?“, der sich diesmal einer – positiven – Geschichte hinter der Geschichte widmet.

„Die innovativste Volkswirtschaft der Welt“

Amerikas Politik kann, grob gesagt, froh sein über Amerikas Wirtschaft. Die oppositionellen Republikaner und das Weiße Haus veranstalten die fahrlässigen Machtproben dieser Tage auf einem robusten ökonomischen Fundament. Die USA ziehen derzeit Investoren und Talente aus aller Welt an wie selten zuvor. Es geht aufwärts, quer durch die Branchen. Sogar Gerede von der hinter der nächsten Kurve zu erwartenden Weltherrschaft Chinas ist in jüngster Zeit etwas leiser geworden.

Mit Steuererleichterungen und niedrigen Energiepreisen lockt er derzeit Investoren aus aller Welt scharenweise in sein Land: US-Präsident Joe Biden, hier bei einem Memorial-Day-Auftritt am 29. Mai 2023.

Mit Steuererleichterungen und niedrigen Energiepreisen lockt er derzeit Investoren aus aller Welt scharenweise in sein Land: US-Präsident Joe Biden, hier bei einem Memorial-Day-Auftritt am 29. Mai 2023.

„Amerika“, notiert der britische „Economist“, „bleibt die reichste, produktivste und innovativste große Volkswirtschaft der Welt.“ Mehr noch: Durch eine beeindruckende Anzahl von Maßnahmen lasse das Land seine Konkurrenten sogar tendenziell immer weiter hinter sich. Mit anderen Worten: Amerika lag vorn – und hat dann Gas gegeben.

Bidens „Inflation Reduction Act“ lockt derzeit Investoren aus aller Welt an. Niedrige Steuern und niedrige Energiepreise haben in europäischen Unternehmenszentralen, nicht zuletzt in Deutschland, gleich reihenweise zu Standortentscheidungen zugunsten der USA geführt.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Dort erreicht der Boom nicht nur alle Branchen, sondern auch alle Regionen. Sogar in Mississippi, dem ärmsten Staat Amerikas, rechnet die „New York Times“ vor, liegen die sogenannten bereinigten Einkommen inzwischen höher als etwa in Emmanuel Macrons Frankreich.

Geht es Amerika zu gut? Manche Beobachterinnen und Beobachter sind inzwischen überzeugt: Der ökonomische Erfolg beflügelt fahrlässige politische Machtkämpfe. „In Washington ist die anhaltende Stärke des Landes zu einem Freibrief für Verantwortungslosigkeit geworden“, schimpfte am vorigen Sonntag der CNN-Politikanalyst Fareed Zakaria in seiner Sendung „Global Public Square“.

Der Respekt vor China lässt nach

Wachsende Zufriedenheit indessen ist bei vielen Kommentatoren mit Blick auf China zu spüren. Für Diktator Xi Jinping, lautet die neue herrschende Meinung, wachsen die Bäume nicht in den Himmel. Verwiesen wird auf die alternde Gesellschaft Chinas, auf „einst unvorstellbare Rezessionsquartale“ und auf Krisen im Immobiliensektor. Zudem sei die Faszination des weltumspannenden Seidenstraßenprojekts verflogen, seit Peking den beteiligten Dritte-Welt-Staaten auf den Füßen steht und auf erste Rückzahlungen von Krediten pocht.

Am Montag berichteten US-Fernsehsender über die Jugendarbeitslosigkeit in China, die mittlerweile die Rekordmarke von 20,4 Prozent erreicht hat. Unter amerikanischen Jugendlichen sind nur 6,4 Prozent arbeitslos. In China platze gerade „die College-Blase“, sagt Yao Lu, Professorin für Soziologie an der Columbia University in New York, dem Sender CNBC. China habe die Zahl der Hochschulabsolventinnen und -absolventen massiv ausgeweitet, „aber jetzt besteht ein Missverhältnis zwischen Nachfrage und Angebot, denn Chinas Wirtschaft hat nicht Schritt gehalten“.

Zurück zum Alltag mit Maske: in einem Einkaufszentrum in Peking am 30. Mai 2023.

Zurück zum Alltag mit Maske: in einem Einkaufszentrum in Peking am 30. Mai 2023.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der neuerdings etwas nachlassende Respekt vor China hat viele Gründe. In den jüngsten Debatten tauchten neben ökonomischen und technologischen auch militärische Aspekte auf:

  • Künstliche Intelligenz: Bei dieser Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts haben die USA die Nase vorn. Der laufende Technologiewettbewerb sei jedenfalls gewinnbar, schreibt Paul Scharre in einem Aufsatz für „Foreign Affairs“. Von den 15 weltweit führenden Institutionen, die Deep-Learning-Forschung veröffentlichen, seien 13 amerikanische Universitäten oder Unternehmenslabore – „nur eine, die Tsinghua-Universität, ist chinesisch“. Scharre ist Militärexperte und Autor der Bücher „Four Battlegrounds: Power in the Age of Artificial Intelligence“ und „Army of None: Autonomous Weapons and the Future of War“.
  • Politische Instabilität: Beobachter in den USA sehen trotz des politischen Prunks rund um Xi Jinping Hinweise auf eine innere Unsicherheit des Regimes in Peking. So seien dem chaotischen Ende von Pekings strenger Null-Covid-Politik bemerkenswerte öffentliche Unruhen vorausgegangen. Inzwischen drohe das andere Extrem: Weil eine neue Corona-Welle mit der XBB-Variante auf eine zu niedrige Impfquote treffe, sei im Juni in China mit 65 Millionen neuen Covid-19-Fällen pro Woche zu rechnen. Zu neuer Unruhe könnten auch die nicht endenden Konflikte Pekings mit der muslimischen Minderheit im Land führen. So versuchten am vorigen Wochenende laut „Washington Post“ Hui-Muslime im Südwesten Chinas, den Abriss der dortigen Najiaying-Moschee zu stoppen.
  • Militärische Verbündete: China, sagt CNN-Analyst Zakaria, hole unbestritten zu den Vereinigten Staaten auf – „aber der Vorsprung der USA bleibt in vielen Dimensionen der Kriegsführung enorm“. In der Ukraine fügten die USA derzeit der russischen Armee durch Waffenlieferungen an die Ukraine verheerenden Schaden zu – „mit minimalen Kosten und ohne amerikanische Truppen einzusetzen“. Der große „Multiplikator der Macht der USA“ blieben ihre Allianzen. An dieser Stelle wird Zakaria geradezu höhnisch: Die Vereinigten Staaten hätten weltweit mehr als 50 militärische Verbündete – China habe nur einen: Nordkorea. „Und es gibt etwa 750 amerikanische Militärstützpunkte auf der ganzen Welt; China hat einen – in Dschibuti.“

WINNER: Triumph in Taiwan für Jensen Huang

Der aktuell erfolgreichste amerikanische Milliardär ist Jensen Huang, CEO und Mitgründer des kalifornischen Chipherstellers NVIDIA. Der coole 60-Jährige, vorzugsweise mit Lederjacke und Sneakers unterwegs, kam als Kind taiwanischer Eltern in die USA.

Jungen Leuten empfiehlt er, „in Richtung KI zu rennen, nicht zu gehen“: Jensen Huang, CEO und Mitgründer von NVIDIA.

Jungen Leuten empfiehlt er, „in Richtung KI zu rennen, nicht zu gehen“: Jensen Huang, CEO und Mitgründer von NVIDIA.

Seine Karriere als Konzernmanager in Kalifornien war anfangs durchwachsen. Derzeit aber katapultiert der von Huang schon vor vielen Jahren vorausempfundene KI-Boom die Firma durch die Decke: Der Börsenwert von NVIDIA liegt seit Dienstag, 30. Mai 2023, erstmals bei mehr als einer Billion Dollar. Damit stößt NVIDIA vor in die Gewichtsklasse von Amazon, Google und Apple.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Dass Huang seit der Gründung von NVIDIA vor 30 Jahren Anteile hält, ließ sein privates Vermögen auf geschätzte 30 Milliarden Dollar wachsen.

Trotz des sensationellen Erfolgs in den USA behielt Huang stets das Land seiner Familie im Blick. In Taiwan ließ er jahrzehntelang die von NVIDIA entwickelten Chips und Grafikkarten in großem Stil produzieren. Und in Taiwan hielt er soeben auch eine weltweit beachtete öffentliche Rede: Huangs Auftritt bei der Computex 2023 in Taipeh ist ein sehenswertes Dokument, das jedem, der an KI interessiert ist, Aufschluss gibt über den Stand der Debatte – und über den Stand der Technik.

Bei einem weiteren Auftritt in Taipeh, vor den Absolventinnen und Absolventen der National Taiwan University, rief Huang die jungen Taiwanerinnen und Taiwaner dazu auf, „in Richtung KI zu rennen, nicht zu gehen“. Die Ära der künstlichen Intelligenz sei nichts Geringeres als die „Wiedergeburt der Computerindustrie“. Das Publikum feierte den Mann in der Lederjacke wie einen Rockstar.

LOSER: Wer hört noch auf Donald Trump?

Hinter den Fassaden verschieben sich bei den Republikanern merklich die Gewichte: Die Oberen der Partei scheren sich inzwischen nicht mehr um politische Ratschläge, die ihnen der im November 2020 abgewählte 45. Präsident der USA gibt.

In einem viel beachteten Auftritt bei CNN Anfang des Monats forderte Donald Trump (76) seine republikanischen Parteifreunde auf, bei den Verhandlungen über die Schuldenobergrenze auf ihren Forderungen zu beharren, und sagte, sie dürften auf keinen Fall nachgeben, selbst wenn dies dazu führe, dass die Regierung zahlungsunfähig werde.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Später schickte er noch eine feurige Botschaft in seinem eigenen Netzwerk Truth Social hinterher: „Die Republikaner sollten keine Einigung über die Schuldenobergrenze unterschreiben, wenn sie nicht alles bekommen, was sie wollen“, schrieb er. „Nicht einknicken!!!“ Der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, zeichnete jedoch nach Verhandlungen mit Präsident Joe Biden ein Kompromisspaket ab, das viele Republikaner grummeln lässt, weil sie es unzureichend finden. Trumps fundamentalistische Empfehlungen wurden schlicht ignoriert.

Seine Partei ignoriert seine Empfehlungen – und auch seine Drohungen. Donald Trump am 27. Mai 2023 beim Golfen in Potomac Falls, Virginia.

Seine Partei ignoriert seine Empfehlungen – und auch seine Drohungen. Donald Trump am 27. Mai 2023 beim Golfen in Potomac Falls, Virginia.

Ähnlich lief es in einem zweiten Fall. Trump gelang es nicht, das republikanisch kontrollierte Abgeordnetenhaus von Texas davon abzuhalten, den texanischen Generalstaatsanwalt Ken Paxton, einen Freund und Helfer Trumps, seines Amtes zu entheben.

Trump hatte Paxton vor der Abstimmung am Samstag in Schutz genommen und die Abgeordneten gewarnt, dass sie seinen Zorn zu spüren bekämen, wenn sie ein Amtsenthebungsverfahren gegen Paxton anstrengen würden. Eine Untersuchungskommission hatte einstimmig 20 Anklagepunkte gegen Paxton vorgebracht, darunter Korruption, Missbrauch öffentlicher Mittel, Falschaussage und Behinderung der Justiz. Der Anklage zufolge schützte Paxton einen Freund und Geldgeber vor gerichtlicher Verfolgung. Im Gegenzug soll der Geldgeber einer außerehelichen Bekannten Paxtons eine Arbeitsstelle beschafft sowie Arbeiten an Paxtons Haus bezahlt haben.

STAY TUNED

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

WAY OF LIFE: Zurück in ein cooles Büro?

Wie lockt man Mitarbeiter, die sich ans Homeoffice gewöhnt haben, zurück ins reguläre Büro und zu regulären Meetings? Kostenlose Snacks und Säfte jedenfalls scheinen als Anreiz nicht mehr auszureichen.

In Kalifornien karrten Konzerne in der Nach-Corona-Zeit sogar mobile Showbühnen heran und ließen auf ihren Parkplätzen Weltstars vor den Mitarbeitenden auftreten, um überhaupt erst mal wieder eine gewisse Nähe zu schaffen. Doch Aktionen wie diese sind naturgemäß ein Strohfeuer.

Immer mehr Firmen kooperieren mittlerweile mit Fitnessstudios im gleichen Haus, für das sie die Mitgliedschaft bezahlen – das funktioniert als Anreiz fürs Pendeln schon besser. Interessant sind auch sogenannte Off-Peak-Modelle, die den Angestellten die gefürchteten Staus in der Rush Hour ersparen.

Der auf Dauer entscheidende Faktor aber liegt im Architektonischen – jedenfalls wenn man Architektinnen und Architekten fragt. „Endlich“, schreibt das Magazin „Time“, „fangen die Firmen an, ihre Büros der neuen Arbeitswirklichkeit anzupassen.“

„Eine Mischung aus Büro und geselligem Club“: Besprechungsraum auf den neuen Office-Flächen der Architektur- und Designfirma NBBJ.

„Eine Mischung aus Büro und geselligem Club“: Besprechungsraum auf den neuen Office-Flächen der Architektur- und Designfirma NBBJ.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Architektur- und Designfirma NBBJ zum Beispiel, ein globaler Trendsetter, führt auf frisch umgebauten Flächen in New York vor, wie Büros aussehen, in die man gern zurückkehrt. Zu besichtigen ist laut „Time“ eine Mischung aus Büro und geselligem Club, „mit Konferenzräumen, die dank ihrer heimeligen Bücherregale und Sofas Wohnzimmeratmosphäre ausstrahlen“. Zudem gebe es „überall grüne Teppiche, die sich wie Waldwiesen anfühlen“.

Ein alter Spruch, so scheint es, findet in dieser Debatte gerade neue Anhänger: Das Design bestimmt das Bewusstsein.

Doch auch die Anziehungskraft stylischer neuer Büros dürfte in den USA an Grenzen stoßen. Denn in den Corona-Jahren floss in den besserverdienenden Familien auch viel Geld ins „home improvement“. Teure Fitnessgeräte rotieren längst auch in vielen privaten Häusern. Und das schicke neue Sofa steht, unerkannt von der Computerkamera, mitunter gleich neben dem Schreibtisch.

Den nächsten USA-Newsletter bekommen Sie am 13. Juni. Bis dahin: Stay cool and stay sharp“

Ihr Matthias Koch

Abonnieren Sie auch

Krisen-Radar: Konflikte, Kriege, Katastrophen – analysiert von Can Merey, jeden Mittwoch neu.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der Tag: Das Nachrichten-Briefing vom RedaktionsNetzwerk Deutschland. Jeden Morgen um 7 Uhr.

Unbezahlbar: Wertvolle Tipps und Hintergründe rund ums Geld – immer mittwochs.

Klima-Check: Erhalten Sie die wichtigsten News und Hintergründe rund um den Klimawandel – jeden Freitag neu.

Hauptstadt-Radar: Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.

Das Leben und wir: Der Ratgeber für Gesundheit, Wohlbefinden und die ganze Familie – jeden zweiten Donnerstag.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Das Stream-Team: Die besten Serien- und Filmtipps für Netflix und Co. – jeden Monat neu.

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken