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Die Grünen und Olaf Scholz werden in diesem Leben keine Freunde mehr

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Sitzung des Bundeskabinetts. Freunde werden Scholz und die Grünen nicht mehr.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und Bundeskanzler Olaf Scholz bei einer Sitzung des Bundeskabinetts. Freunde werden Scholz und die Grünen nicht mehr.

Liebe Leserin, lieber Leser,

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dass Olaf Scholz und die Grünen ein Herz und eine Seele wären, das ließ sich schon früher nicht behaupten. Im Februar 2021 zum Beispiel ließ die Bundestagsfraktion der Ökopartei den damaligen Bundesfinanzminister von der SPD genüsslich aus einer Bund-Länder-Konferenz zur Corona-Pandemie ins Plenum des Bundestages zitieren. Eine zwingende Notwendigkeit bestand dazu nicht. Scholz soll den USA zuvor ein Milliardenangebot zur Verhinderung von Sanktionen gegen die umstrittene Ostseepipeline Nord Stream 2 gemacht haben. Die Szene im Bundestag ereignete sich ein Jahr vor dem russischen Angriff auf die Ukraine.

Zur gleichen Zeit bliesen die Grünen zur Jagd auf Scholz, weil er der Hamburger Warburg-Bank als Bürgermeister der Hansestadt finanzielle Vorteile verschafft haben soll und sein Agieren in der Wirecard-Affäre ebenfalls Anlass zu Nachfragen gab. Unter den Jagenden war die Finanzexpertin Lisa Paus. In der Hochphase des Bundestagswahlkampfes schrieb sie im Kurznachrichtendienst Twitter: „So funktioniert das System Scholz: Spuren verwischen und Nebelkerzen werfen.“

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) leistet ihren Amtseid im Bundestag. Ihre Einstellung zu Olaf Scholz dürfte sich durch ihre Ernennung zur Ministerin nicht wirklich verändert haben: Paus ist keine Freundin des Kanzlers und SPD-Politikers.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) leistet ihren Amtseid im Bundestag. Ihre Einstellung zu Olaf Scholz dürfte sich durch ihre Ernennung zur Ministerin nicht wirklich verändert haben: Paus ist keine Freundin des Kanzlers und SPD-Politikers.

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Nach ihrer überraschenden Berufung zur Bundesfamilienministerin der Ampelkoalition sagte Paus mit Blick auf denselben Scholz: „Ich freue mich auf die Zusammenarbeit. Ich habe auch bereits mit ihm telefoniert. Und ich kann sagen: Wir freuen uns beide.“ Das war so schlecht geflunkert, dass es schon wieder gut war. Nur führt es nicht dazu, dass der Kanzler seiner Ministerin nun bei der Durchsetzung der von ihr heiß ersehnten Kindergrundsicherung unter die Arme greift. Im Gegenteil.

Die Grünen kämpften mit der SPD vor der Wahl um die Vorherrschaft im Mitte-links-Lager. Nachdem die Sozialdemokaten die Schlacht für sich entschieden, stellten die Grünen den Kampf erst mal ein – wobei es sie nicht wunderte, dass der neue Bundesfinanzminister Christian Lindner von der FDP mit Scholz rasch ein öffentliches Bündnis schmiedete und dessen „inneres Geländer“ rühmte. Es gab seither lediglich kleinere Scharmützel, etwa zwischen dem Kanzler und Außenministerin Annalena Baerbock oder dem grünen Ex-Fraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter. Das war‘s.

Seit der letzten Sitzung des Koalitionsausschusses, in der SPD und FDP den Klimaschutzplänen der Grünen gemeinsam den Garaus machten und nebenbei deren Vizekanzler Robert Habeck nach Kräften in die Schranken wiesen, lassen die Grünen in Hintergrundrunden allerdings keinen Zweifel mehr daran aufkommen, was sie von ihrem Scholz halten: nichts.

Die Spitzenriege der Grünen am 28.03.2023 auf dem Weg zur Fortsetzung des Koalitionsausschusses. Auch die Marathonsitzung im März hat keine neue Liebe zwischen Olaf Scholz und seinen Grüne Koalitionspartnern erwachsen lassen.

Die Spitzenriege der Grünen am 28.03.2023 auf dem Weg zur Fortsetzung des Koalitionsausschusses. Auch die Marathonsitzung im März hat keine neue Liebe zwischen Olaf Scholz und seinen Grüne Koalitionspartnern erwachsen lassen.

So wird neuerdings berichtet, dass er vor Jahren ein Thesenpapier Hofreiters zur CO₂-Besteuerung am Rande einer Sitzung des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat einfach habe zu Boden fallen lassen – als Zeichen der Nichtachtung. Erinnert wird ferner daran, dass es in den ersten 22 Stunden der besagten Koalitionsausschusssitzung nur vier Wortmeldungen anderer Sozialdemokaten gegeben habe. Sonst habe ausschließlich Scholz geredet – jener Scholz, der in der SPD vor seinem Wahlsieg ungefähr so beliebt war wie bei den Grünen im Hier und Jetzt.

Und schließlich fallen bei Grünen-Politikern in diesen Tagen drei Buchstaben zur Charakterisierung des Regierungschefs, die sich dem Vernehmen nach in dessen näherem SPD-Umfeld längst eingebürgert haben. Sie lauten: OWD. OWD steht für: Olaf Will Das. Und wenn Olaf etwas will, dann erübrigt sich dem Vernehmen nach jede weitere Diskussion.

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Alle vom zweitstärksten Koalitionspartner referierten Episoden münden in einen Vorwurf, den der Arroganz. Auch die Quintessenz ist unmissverständlich: Während die Grünen die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel bisweilen innig liebten, obwohl sie nie mit ihr koalierten, würden sie an die Spitze der tatsächlich existierenden Koalition – wenn sie denn könnten, wie sie wollten – gewiss einen anderen Kanzler wählen. Der letzte Liebesfunken für Olaf Scholz, sollte es je einen gegeben haben, ist erloschen.

 

Bittere Wahrheit

Das ist schon ein Tag von großer Bedeutung, auch persönlich.

Jürgen Trittin

Grünen-Bundestagsabgeordneter und Bundesumweltminister, über den Atomausstieg

Eines kann man sicher sagen: Die Grünen würde es nicht geben, ohne ihr von Anfang an kraftvoll intoniertes „Atomkraft? Nein danke!“. Der Atomausstieg wurde 2001 beschlossen, 2011 von Kanzlerin Angela Merkel nach einem zwischenzeitlichen Rollback erneuert und 2022 von ihrem Nachfolger Olaf Scholz bekräftigt. Die Grünen haben so gesehen einen ihrer Daseinszwecke erfüllt; sie könnten sich auflösen, eigentlich. Der vom ehemaligen Bundesumweltminister Jürgen Trittin benannte „Tag von großer Bedeutung“ war der 15. April 2023. Er geht so oder so in die Geschichtsbücher ein.

Freilich übersteigt die Gefahr, die vom Klimawandel ausgeht, die Gefahr, die von der Atomenergie ausgeht, um ein Vielfaches. Und so wie die Grünen vor 40 Jahren der „etablierten Politik“ im Nacken saßen, sitzt ihnen heute die Klimaschutzbewegung im Nacken. Der Atomausstieg schmeckt so gesehen nicht nur süß. Er schmeckt auch ein wenig bitter.

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Jürgen Trittin feiert in Berlin die Abschaltung der letzten drei deutschen Kernkraftwerke.

Jürgen Trittin feiert in Berlin die Abschaltung der letzten drei deutschen Kernkraftwerke.

 

Wie das Ausland auf die Lage schaut

Zum Atomausstieg in Deutschland schreibt die Wirtschaftszeitung „Hospodarske noviny“ aus Tschechien:

„Das bedeutet zwar nicht das Ende für die deutsche Atomindustrie, aber der Standort Deutschland wird durch diesen Schritt geschwächt. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der Frankreich sich für eine Renaissance der Kernkraft entschieden hat, in neue Reaktoren investieren und seine Modelle selbstverständlich auch ins Ausland verkaufen will. Hinzu kommt der Wettbewerb um den Bau des ersten kommerziellen kleinen, modularen Reaktors im Westen. Wer der Sieger sein wird, ist noch unklar, aber die Deutschen werden nur eine Nebenrolle spielen. Die Nachfrage nach Experten und Fertigungskapazitäten in der Atomindustrie ist groß. Das ist eine Chance für tschechische Fachleute und die tschechische Industrie.“

Christian Meyer, Niedersachsens Umwelt- und Energieminister, schaltet symbolisch das AKW Emsland aus.

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Zu den Cannabisplänen der Bundesregierung heißt es im Schweizer „Tages-Anzeiger“:

„Karl Lauterbach und Cem Özdemir gaben sich alle Mühe, so zu tun, als hätten sie beim ewigen Streit um legales Cannabis endlich den historischen Durchbruch geschafft. Aber es nützte alles nichts: Auch dieses Prestigeprojekt der Ampelkoalition wurde zuletzt von der Wirklichkeit so zerrieben, dass auch die frohe Kunde der Minister kaum mehr Begeisterung auslöste.

Als Lauterbach im vergangenen Herbst seine Pläne erstmals vorgestellt hatte, war das noch ganz anders gewesen. Der sozialdemokratische Gesundheitsminister hatte geschwärmt, Deutschland könne mit seinen kühnen Vorschlägen zu einem Vorbild für ganz Europa werden. Doch daraus wird erst mal nichts.

Die Europäische Kommission hat der deutschen Regierung in der Zwischenzeit klargemacht, dass der umfassenden Legalisierung europäisches Recht und Völkerrecht entgegenstehen, über das sich Deutschland nicht einfach hinwegsetzen kann. Lauterbach reagierte auf die Absage, indem er seine große Vision flugs zu einer ‚Legalisierung light‘ schrumpfte.“

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Bundespressekonferenz bei der Vorstellung ihrer Cannabis-Gesetzespläne. Was die Bundesregierung nun umsetzen will, bleibt weit hinter den ursprünglichen Legalisierungsplänen der Ampel-Koalition zurück.

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Bundespressekonferenz bei der Vorstellung ihrer Cannabis-Gesetzespläne. Was die Bundesregierung nun umsetzen will, bleibt weit hinter den ursprünglichen Legalisierungsplänen der Ampel-Koalition zurück.

 

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Mein Kollege Steven Geyer hat mindestens eines mit Angela Merkel gemeinsam: Er wuchs in Ostdeutschland auf. Hier hat Geyer nachgezeichnet, warum die Altkanzlerin am Montag die höchste staatliche Auszeichnung bekommen hat, die man in Deutschland bekommen kann – das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik in besonderer Ausführung. Bundesverdienstkreuz: Debatte um Angela Merkels Vermächtnis (rnd.de) (+)

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Meine Kollegin Kristina Dunz, die Angela Merkels Kanzlerschaft journalistisch intensiv begleitet hat, hat gemeinsam mit Steven Geyer parteiübergreifend interessante Stimmen zu ihrer Auszeichnung gesammelt. Dabei kommt das höchste Lob aus einer Richtung, aus der man sie nicht unbedingt erwartet hätte – von der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken. Saskia Esken (SPD) würdigt Angela Merkel vor Verdienstorden-Auszeichnung am Montag (rnd.de)

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Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!

Herzlich

Markus Decker

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