Die hässliche Seite der Macht
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Markus Söder, CSU-Vorstandsvorsitzender, will auf gar keinen Fall Kanzlerkandidat der Union werden. Sagt er zumindest jetzt.
© Quelle: Peter Kneffel/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
wenn es um die Postenverteilung in der Politik geht, müssen wir Beobachterinnen und Beobachter oft auf die hässliche Seite der Macht schauen. Die Abgründe sind tief, wenn Menschen untereinander Führungsanspruch aufteilen. „Man lernt die Leute leider von einer anderen Seite kennen“, hat mir mal eine hochrangige Politikerin angewidert erzählt, als wir gerade in der Phase der Regierungsbildung ein Hintergrundgespräch führen wollten und ständig ihr Telefon klingelte. Permanent waren die lieben Parteifreundinnen und ‑freunde in der Leitung, die sich säuselnd, werbend oder drohend für diesen oder jenen Posten ins Gespräch brachten.
Nun sollte man meinen, mitten in der Wahlperiode ist gerade alles in Butter, und niemand muss um den nächsten Posten kämpfen. Doch ganz so läuft es ja nicht. Wer ungeklärte Machtfragen in eine Wahlperiode mitnimmt, muss sich ständig damit auseinandersetzen. Aktuell beste Beispiele: Wer wird die Grünen in die nächste Bundestagswahl führen: Außenministerin Annalena Baerbock oder Vizekanzler Robert Habeck? Der Machtkampf gärt. Und natürlich: Wer geht für die Union als Kanzlerkandidat ins Rennen: Partei- und Fraktionschef Friedrich Merz? Bayerns Ministerpräsident Markus Söder? Oder gar der mächtige Mann an Rhein und Ruhr: NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst?
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Der Machtkampf gärt: Vor der letzten Bundestagswahl wurde Annalena Baerbock zur Kanzlerkandidatin gewählt. Aktuell ist die Frage wieder offen.
© Quelle: dpa
Nach der Sendung von „Markus Lanz“ am Dienstag, in der auch meine Kollegin Kristina Dunz dem CSU-Chef auf den Zahn fühlte, scheint in der Union doch alles auf Merz zuzulaufen. Jedenfalls rief mich Kristina gleich nach der Aufzeichnung an und erzählte, dass Söder klar wie nie zuvor gesagt habe, dass er für eine Kanzlerkandidatur nicht zur Verfügung stehe und seine Lebensaufgabe in Bayern sehe – und auch erstmals gleich Merz als derzeit aussichtsreichsten Kandidaten bezeichnet habe. Selbstverständlich haben wir sofort darüber gesprochen, ob diese Offenbarung ein taktisches Manöver sein könnte, um vor der Landtagswahl in Bayern im Herbst ein Zeichen für die Heimat zu setzen. Wer heute Bäume und morgen Atomkraftwerke umarmt, wird wohl auch seine Worte zur Kanzlerkandidatur der Union fressen können, so unsere Mutmaßung.
Allerdings wird es viele Menschen geben, die Söder an die Worte von jenem Dienstagabend im Mai 2023 erinnern werden, wenn es nach der Europawahl 2024 in der Union zum Schwur kommt. In einem sind sich Merz und Söder jedenfalls einig: Sie wollen die zerfleischenden Machtkämpfe aus dem Wahljahr 2021 nicht noch einmal wiederholen. Nur der Fahrplan von CDU und CSU zur Endstation Friede, Freude, Kanzlerkandidat – der steht noch nicht. Dass die Bundestagswahl damals für die Union verloren ging, lag nicht nur an den Fehlern von Kanzlerkandidat Armin Laschet. Der Mann aus dem Merkel-Lager war auch Opfer des Mobbings durch Söder und durch Parteifreunde vom Merz-Flügel.
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Der Moment des Lachens im Gebiet der Flutkatastrophe im Ahrtal kostete Armin Laschet als Kanzlerkandidat viele Sympathien. Laschet wurde aber auch Opfer des Mobbings durch Rivale Markus Söder.
© Quelle: Marius Becker/dpa
Wirklich klären wird sich die K‑Frage in der Union erst nach der bayerischen Landtagswahl. Sollte Söders CSU bei mehr als 40 Prozent landen, was den Umfragen zufolge durchaus realistisch ist, könnte er sich in das Rennen um die Kanzlerkandidatur noch einmal selbst einwechseln. Dann wird dem geneigten Publikum abermals die hässliche Seite der Macht gewahr. Denn auch, wenn er es noch nicht so klar formuliert hat: Selbstverständlich will Merz Kanzlerkandidat werden. Kaum einer im Regierungsviertel zweifelt daran, dass der 67-Jährige unbedingt die Union in die nächste Bundestagswahl führen will. Auch aus seinem engeren Umfeld widerspricht da niemand.
In der Frage der Spitzenkandidatur können sich SPD und FDP zurücklehnen. Dass der Kanzler abermals antreten wird, ist so sicher wie das Amen in der Kirche. Und auch Liberalen-Chef Lindner hätte sich beim Parteitag im April nicht abermals zum Vorsitzenden wählen lassen, wenn er seine Partei nicht auch 2025 in die Bundestagswahl führen wollte.
Machtpoker
„Es wird am Ende kein Verbotsgesetz geben.“
Christian Lindner
Bundesfinanzminister
Das Versprechen des FDP-Chefs bezieht sich auf das geplante Gesetz aus dem Ressort des Wirtschafts- und Klimaministers Robert Habeck, der ab 2024 den Einbau neuer Gas- und Ölheizungen in Wohngebäude verbieten will. Ein entsprechendes Gesetz wurde bereits vom Kabinett gebilligt – wohlgemerkt mit einer Protokollnotiz des Finanzministers. Was in der öffentlichen Debatte um dieses strittige Gesetz zurzeit zu hören ist, beinhaltet vor allem Wortklauberei um den Begriff Technologieoffenheit. Ölheizungen werden mit Sicherheit verboten.
Die Frage ist, ob und unter welchen Bedingungen Gasheizungen doch noch zulässig sein könnten – hybride Modelle beispielsweise, die mit einer Wärmepumpe gekoppelt sind, oder solche, die eines Tages auch auf Wasserstoff umgestellt werden können. Allerdings ist die Wahrscheinlichkeit, dass in den nächsten zehn Jahren Privathaushalte ihre Wohnzimmer mit Wasserstoff wärmen, absolut gering. Und damit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass das Gesetz zum Heizungstausch doch ein Verbotsgesetz wird.
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Erzrivalen: Finanzminister Christian Lindner (FDP) im Gespräch mit dem Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck (Grüne).
© Quelle: picture alliance / Flashpic
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa fällt in dieser Woche ein vernichtendes Urteil über die SPD. Die Sozialdemokraten stehen bei nur noch 17 Prozent knapp vor der AfD, die ihrerseits die Grünen überholt hat. Das nach dem knappen Sieg bei der Bundestagswahl 2021 verkündete sozialdemokratische Jahrzehnt entpuppe sich „als Illusion“, analysiert Forsa. Schuld daran, dass sich der nur kurzzeitig unterbrochene Vertrauens- und Bedeutungsverlust der deutschen Sozialdemokraten wieder beschleunige, seien die Kevin Kühnerts der Partei in Bund, Ländern und Kommunen, die das Heil der SPD in einem Linkskurs sähen. Aus Sicht des Instituts übernimmt die SPD zu viele Positionen der Grünen und vernachlässigt die politische Mitte. Die harte Schlussfolgerung: „Wie in der deutschen Hauptstadt mit ihren nur noch 18.000 Mitgliedern mutiert die SPD auch vielerorts zu einer Sekte, die jedweden Kontakt mit der pluralistischen Gesellschaft in Stadt und Land verloren hat.“
In der Sonntagsfrage hat die Ampelregierung insgesamt längst den Rückhalt verloren:
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© Quelle: Forsa
Das ist auch noch lesenswert
Wahrscheinlich wird öffentlich zu viel übers Kiffen und zu wenig übers Rauchen debattiert. Jedenfalls rauchen wieder viel mehr Jugendliche als noch vor Jahren, als es zahlreiche Aufklärungskampagnen gab und das Rauchen nach und nach in öffentlichen Verkehrsmitteln und Restaurants verboten wurde. Jetzt rauchen sie wieder. Matthias Schwarzer ist den Gründen nachgegangen. (+)
Erinnern Sie sich noch an Sylt im vergangenen Sommer, als große Gruppen von Punkern die Nobelinsel Sylt stürmten und dort dem gediegenen Publikum auf die Nerven gingen? Einer von ihnen ist geblieben, Jörg Otto. Der 46-Jährige will nun bei der Kommunalwahl für die Linkspartei in den Stadtrat von Westerland einziehen. Seine Chancen auf einen Sitz sind gering. Meine Kollegen Sebastian Scheffel und Sebastian May haben den einsamen Streiter begleitet. In Schrift und Video haben sie festgehalten, was den Punker antreibt. (+)
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Punker Jörg Otto kandidiert bei der Kommunalwahl 2023 für die Linke auf Sylt. Er ist 2022 auf die Insel gekommen und auch nach Ende des Protestcamps geblieben.
© Quelle: Sebastian Scheffel
Wenn Sie noch einmal nachvollziehen möchten, wie die Lanz-Sendung mit den Söder-Aussagen zur Kanzlerkandidatur gelaufen ist, empfehle ich die Zusammenfassung von Jakob Milzner.
Wirtschaftsminister Robert Habeck war vergangenen Freitag beim Talk „RND vor Ort“ in Kiel zu Gast. Meine Kollegin Stefanie Gollasch und ich haben ihn nach allen aktuell brisanten Themen gefragt: Heizungstausch, Industriestrom, Klimaproteste und natürlich nach den familiären Verbindungen in seinem Ministerium. Hier kann man den Talk nachschauen. In dem Link finden Sie auch eine kurze Zusammenfassung der Highlights des Talks.
Unser Krisenreporter Can Merey war wieder auf Reisen. Seine Nachrichten in der vergangenen Woche enthielten stets den Hinweis auf die Temperatur von 40 Grad im Schatten. Can war in Mali und Niger. Seine Reportage über die Bevölkerungsexplosion in Niger möchte ich Ihnen sehr ans Herz legen. Dort bekommen die Frauen im Durchschnitt sechs bis sieben Kinder. Im Durchschnitt! Das Land ist nicht in der Lage, die schnell wachsende Bevölkerung zu ernähren geschweige denn die Menschen zu bilden und Jobs für sie zu schaffen. (+)
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In der Schule in Liboré kurz vor der Hauptstadt Niamey werden die Kinder in Strohhütten unterrichtet. Wenn es regnet, fällt der Unterricht aus.
© Quelle: Andy Spyra/RND
Eigentlich leben wir ja im Zeitalter der Political Correctness. Umso erstaunlicher ist, wenn man davon hört, dass eine ganze Branche Alkohol und Schikane am Arbeitsplatz immer wieder zu tolerieren scheint. Jedenfalls hat die Berichterstattung um den Regisseur und Schauspieler Til Schweiger die Zustände am Filmset ins Interesse der Öffentlichkeit gerückt. Mein Kollege Stefan Stosch hat ein paar Anekdoten parat, die die besondere Situation beleuchten, in der Menschen unter großem Zeit- und Gelddruck über Monate miteinander arbeiten. (+)
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!
Herzlichst
Ihre Eva Quadbeck
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