Newsletter „Hauptstadt-Radar“

Konfuzius und die Kompromisse in der Koalition

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner.

Bundeskanzler Olaf Scholz mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner.

Liebe Leserin, lieber Leser,

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angesichts des desaströsen inneren Zusammenhalts der Ampelkoalition muss ich an dieser Stelle mal mit Konfuzius kommen: „Der gewöhnliche Mensch macht Kompromisse, aber ist nie friedliebend“, soll der vor rund 500 Jahre vor Christi lebende chinesische Philosoph gesagt haben. Schaut man auf den Krach in der Koalition um die klimafreundliche Modernisierung von Heizungen, muss man also festhalten, dass die entscheidenden Personen in der Ampelkoalition eben gewöhnliche Menschen sind, die Kompromisse eingehen.

Nun weiß man nicht, was Konfuzius zu dem Thema gesagt hätte, wenn er in einer Demokratie gelebt oder gar eine Öl- oder eine Gasheizung gehabt hätte. Jedenfalls gerieren sich die Granden in der Ampel regelmäßig als prinzipientreu („FDP pur“, „Jahrzehnt der Sozialdemokratie“, grüner „Kurs der Eigenständigkeit“) und dann müssen sie sich politisch doch in der Mitte treffen. Das soll ihnen auch gar nicht vorgeworfen werden. Schließlich hat Helmut Schmidt, der am Ende seines Lebens eine Art Konfuzius der Neuzeit war, einmal gesagt, dass wer keine Kompromisse machen könne, für die Demokratie nicht zu gebrauchen sei. Und der Mann hatte recht.

Wer weiß, was Konfuzius zu Kompromissen gesagt hätte, wenn er Demokratien erlebt hätte.

Wer weiß, was Konfuzius zu Kompromissen gesagt hätte, wenn er Demokratien erlebt hätte.

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Das Problem bei der Ampel ist allerdings, dass sie zwar ständig Kompromisse eingeht, sich dann aber nicht an diese hält; sie wieder aufmacht, zerredet und verwässert. Dazu musste sich vor allem die FDP gestern Abend mahnende Worte von SPD und Grünen anhören. Der Konflikt ist mitnichten gelöst. Man ist aber bemüht, ihn auf kleiner Flamme zu halten.

Harte Meinungsverschiedenheiten und gegenseitige Lästereien gibt es in jeder Koalition. Das ist noch kein Alarmsignal. Das zentrale Problem der Ampel aber ist: Bei vielen entscheidenden Führungsleuten ist der gegenseitige Respekt futsch.

Dieser Zustand ist genauso schlimm, als könne man keine Kompromisse machen – also frei nach Helmut Schmidt für die Demokratie nicht zu gebrauchen. Die Bevölkerung ist inzwischen zutiefst verunsichert, was das Heizen der eigenen vier Wände angeht. Jahrelang wurde einem von allen Seiten erzählt, dass Gas die Brückentechnologie in der Energiewende sei. Guten Glaubens haben die Bürgerinnen und Bürger ihre Eigenheime mit Gasheizungen ausgestattet. Dann schießen die Preise für Gas wegen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine und wegen der daraus folgenden Sanktionen durch die Decke. Und die Bundesregierung will binnen eines Jahres das Einbauen neuer Gasheizungen verbieten.

Der entsprechende Beschluss der Regierung wird allerdings in der Koalition wie eine On-off-Beziehung behandelt. Immer wieder einigen sich SPD, Grüne und Liberale in Koalitionsausschüssen und im Kabinett auf das Datum 2024 als Einstieg in den Ausstieg aus Gas- und Ölheizungen. Immer wieder stellt die FDP den gefundenen Kompromiss infrage per Kabinettserklärung, per Parteitag, im Bundestag. Und viele Sozialdemokratinnen und -demokraten sind klammheimlich erleichtert, dass die Liberalen diesen Job erledigen. Denn die SPD-Klientel steigt den Sozialdemokraten auch längst aufs Dach.

Eine Wärmepumpe vor einem Einfamilienhaus: Das letzte Wort im Heizungsstreit ist wohl noch nicht gesprochen.

Eine Wärmepumpe vor einem Einfamilienhaus: Das letzte Wort im Heizungsstreit ist wohl noch nicht gesprochen.

Das letzte Wort in Sachen Heizungstausch ist noch lange nicht gesprochen. Der Koalitionsausschuss von Mittwochabend hat zwar formal die erneute Beteuerung gebracht, dass der Beschluss gilt und auch substanziell nichts mehr geändert werden soll – der Streit aber ist nicht gelöst. Wie das diesmal dreistündige Treffen ohnehin ergebnislos zu Ende gegangen ist. Die Ampelspitzen hatten nach der Marathonsitzung im März eigentlich gar keine Lust, sich zu treffen. Und so nahm man sich im Vorfeld auch nur vor, die Rekordzeit von 30 Stunden Sitzung zu unterbieten. Dem Vernehmen nach hat man sich am Mittwochabend auch versprochen, dass es so lange Sitzungen nicht wieder geben soll, schon allein wegen der verheerenden öffentlichen Wirkung. Eine kürzere Sitzungsdauer ist gelungen – das reicht aber nicht, um in der Sache voranzukommen. Und es reicht schon mal gar nicht, um den Titel der Fortschrittskoalition zu beanspruchen.

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Die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Klima in der Koalition noch einmal verbessert, ist gering. Im Sommer wird in Hessen und in Bayern gewählt, was die Union zu einer Art Midterms hochjazzen dürfte, da die Chancen für die CDU in Hessen und die CSU in Bayern ziemlich gut stehen. Wenn es im Herbst um die Halbzeitbilanz der Ampelkoalition geht, werden sich SPD, Grüne und Liberale nicht mehr auf 16 Jahre CDU-Regierung berufen können. Und auch der Umstand des Kriegs in der Ukraine, der viele ambitionierte Pläne der drei Parteien über den Haufen geworfen hat, wird nicht darüber hinwegtäuschen können, dass die Ampel als Trio zu wenig in eine Richtung geht, um wirklich Fortschritt erzielen zu können.

Habeck am Freitag zu Gast beim RND-Talk

Übrigens ist Wirtschaftsminister Robert Habeck an diesem Freitag beim Talk „RND vor Ort“ in Kiel zu Gast, den meine Kollegin, die Chefredakteurin der „Kieler Nachrichten“ Stefanie Gollasch, und ich moderieren werden. Wir werden Habeck unter anderem fragen, wie seine Heizungspläne sozialverträglich realisiert werden sollen und ob es eigentlich auch noch mehr Ausnahmen vom Gasheizungsverbot geben soll außer für über 80-Jährige. Wenn Sie den Talk live verfolgen möchten, können Sie sich am Freitag um 19.30 Uhr hier in den Livestream schalten.

Der Wirtschaftsminister ist am Freitag zu Gast bei „RND vor Ort“ in Kiel.

Der Wirtschaftsminister ist am Freitag zu Gast bei „RND vor Ort“ in Kiel.

 

Steile These

Was für ein Unfall, dass diese Frau Außenministerin geworden ist.

Richard David Precht,

Philosoph

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Precht ist der Mann, der oft als Philosoph in TV-Sendungen oder Podcasts auftritt. Er hat immer eine steile Meinung, die er übellaunig vorträgt – über Medien, über Politik und in diesem Fall über die Außenministerin. Die Tirade gegen Annalena Baerbock ging noch weiter. Sie hätte „unter normalen Bedingungen im Auswärtigen Amt nicht mal ein Praktikum gekriegt“. Precht attestierte der Grünen-Politikerin zudem „die moralische Inbrunst einer Klassensprecherin“. Ihre „wertegeleitete Außenpolitik“ sei in Wirklichkeit eine „konfrontationsgeleitete Außenpolitik“.

Nun hat sich Baerbock auf internationalem Parkett mit ihrer klaren direkten Art viel Respekt erarbeitet. Sie hat sich zugleich einige verbale Missgriffe geleistet. Und berechtigt ist die Frage, ob sie für eine Außenministerin zu offensiv agiert. Wer sie aber zur Praktikantin und Klassensprecherin herabwürdigt und ihr mit der Formulierung „Unfall“ die Legitimität fürs Amt abspricht, der diskreditiert vor allem sich selbst. Mit Baerbock muss man sich kritisch auseinandersetzen – mit dieser Art der Kritik nicht: Man kann Prechts Worte einfach nicht ernst nehmen.

Hat immer eine Meinung: Richard David Precht.

Hat immer eine Meinung: Richard David Precht.

 

Wie Demoskopen auf die Lage schauen

Der aktuellen Forsa-Umfrage zufolge schwächeln die Grünen, die derzeit bei nur noch 16 Prozent stehen. Zur Einordnung: Das ist immer noch mehr als bei der Bundestagswahl 2021 (14,8 Prozent). Doch damit seien sie weit entfernt von ihren hohen Sympathiewerten Mitte letzten Jahres, als sie in den Umfragen auf 24 beziehungsweise sogar 25 Prozent kamen, schreibt das Meinungsforschungsinstitut. „Ein Grund für diesen deutlichen Sympathierückgang dürfte sein, dass das hohe Vertrauen zu den beiden wichtigsten Repräsentanten der Partei – Baerbock wie Habeck – in den letzten Monaten deutlich geringer geworden ist“, heißt es in der Analyse weiter. So sei im Vergleich zum Frühjahr letzten Jahres der Vertrauenswert von Baerbock um 13, der von Habeck sogar um 16 Punkte zurückgegangen. Den Forsa-Daten zufolge verlaufen die Entwicklungskurven der Vertrauenswerte für Baerbock und Habeck sowie die der Sympathiewerte für die grüne Partei weitgehend synchron.

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Wie die anderen Parteien in der Sonntagsfrage dastehen:

 

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Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!

Herzlichst

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Ihre Eva Quadbeck

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