Wie gut, dass es nur ein Fan von Scholz war
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Bundeskanzler Olaf Scholz (links, SPD) kommt zum Start einer zweitägigen Reise auf dem militärischen Teil des Flughafens Berlin Brandenburg BER an und steigt aus einer Limousine.
© Quelle: Soeren Stache/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
kennen Sie das? Sie hören früh morgens (noch etwas im Halbschlaf) die Radionachrichten und halten etwas für so unfassbar, dass sie glauben, sie hätten das geträumt. So ging es mir am Freitagmorgen. Da wurde etwas von einem Mann berichtet, der sich mit seinem Privatwagen in die Kanzlerkolonne eingereiht habe, mit ihr unbehelligt aufs Rollfeld eines Flughafens gefahren sei und zu allem Überfluss den Bundeskanzler beim Aussteigen aus seiner Limousine auch noch umarmt habe.
Noch etwas müde ging ich im Kopf die Kanzlerreisen durch: Mein Kollege Andreas Niesmann ist mit Olaf Scholz wohlbehalten vom G7-Gipfel aus Asien zurück. Die Afrikatour, auf die meine Kollegin Daniela Vates den Kanzler begleitet hatte, ist auch schon ein paar Tage her. Und ich selbst war definitiv gerade nicht unterwegs mit Scholz. Also, wohl verhört oder einfach noch – schlecht – geträumt. Kann gar nicht stimmen. Wäre auch völlig absurd, dass so etwas bei den scharfen Sicherheitsmaßnahmen, die wir Journalistinnen und Journalisten auf den Kanzlerreisen erleben, passieren könnte.
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Olaf Scholz auf dem Weg in den Regierungsflieger.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Beim ersten Blick aufs Handy war ich dann hellwach. Es hatte sich tatsächlich ein Mann mit seinem Auto in die – eigentlich immer rasende – Kanzlerkolonne eingeschleust, war mit ihr durch die Sicherheitsschranke am Frankfurter Flughafen gerauscht und hat es auch noch geschafft, Körperkontakt zum Kanzler aufzunehmen. Man will sich nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn der Mann mörderische Absichten gehabt hätte.
Natürlich fallen einem gleich die Attentate 1990 auf den damaligen SPD-Kanzlerkandidaten Oskar Lafontaine und CDU-Innenminister Wolfgang Schäuble ein. Und man sucht nach Vergleichen, wo es ungewollt zu viel Nähe von Bürgerinnen und Bürgern zu Spitzenpolitikern gab. Vizeregierungssprecher Wolfgang Büchner fielen auf die Schnelle die Eier ein, die 1991 der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) abbekommen hat, weil Bürgerinnen und Bürger im Osten nicht den Eindruck hatten, dass bei ihnen nun wie versprochen die Landschaften blühten.
Dann gibt es noch die Selfies von syrischen Geflüchteten 2015 mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Ich erinnere mich gut, wie sie entstanden sind, denn ich stand daneben. Merkel hatte eine Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in Berlin-Spandau besucht und war zu Fuß zur gegenüberliegenden Asylunterkunft gelaufen. Immer mehr Geflüchtete liefen nebenher und machten mit ihren Handys Fotos. Merkels Personenschützer hielten sie auf Abstand und wiesen sie zurück. Als Merkel aus der Asylunterkunft wieder herauskam, galt die Lage als sicher. Der Bitte um Selfies entsprach sie – unter Qualen der Sicherheitsbeamten, die auf sie aufpassten.
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Die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel lässt sich für ein Selfie zusammen mit einem Flüchtling fotografieren.
© Quelle: picture alliance / dpa
Die Panne mit dem Scholz-Konvoi ist anders gelagert. Offensichtlich wurden die Sicherheitskräfte von Bundeskriminalamt, Bundespolizei und Landespolizei völlig überrumpelt. Der 48-jährige Mann reihte sich einfach mit seinem Audi, der den Staatskarossen ähnelt, in die Kolonne ein. Und offensichtlich schaltete auch niemand, als der Fremde den Kanzler beim Aussteigen abfing. Ein bisschen hat das Ganze ja etwas von dem als Hauptmann verkleideten Schuhmacher, der 1906 mit gutgläubigen Soldaten ins Rathaus von Köpenick eindrang, den Bürgermeister verhaftete und die Stadtkasse stahl. Einfach so tun, als sei man selbstverständlich befugt.
Jetzt kann man nur froh sein, hieß es in der SPD, dass es sich nur um einen überschwänglichen Fan von Scholz handelte und nicht um einen Angreifer. Ich bin am Donnerstag wieder mit dem Bundeskanzler unterwegs. Wir fliegen nach Moldau, wo sich rund 50 Staats- und Regierungschefs der Europäischen Politischen Gemeinschaft treffen, um der kleinen Republik an der Grenze zur Ukraine Solidarität gegen Russland zu versichern. Ich vermute, wir werden auch dies erleben: verschärfte Sicherheitsvorkehrungen.
Steile These
Jetzt will er die Energie-Stasi einsetzen, um wie in einem Schnüffelstaat den Menschen in den Heizungskeller zu gucken.
Mario Voigt,
Thüringens CDU-Chef in der „Bild“
Die Ministerien von Robert Habeck (Grüne, Wirtschaft) und Klara Geywitz (SPD, Bauen) haben einen Gesetzentwurf erarbeitet, mit dem Kommunen Daten über Heizungen von Bürgerinnen und Bürgern und die Höhe des Verbrauchs erheben sollen. Ziel ist es, dass die Gemeinden den Ausbau von Fernwärmenetzen planen und vorantreiben können. Vorstellbar wäre, dass nicht jeder Einzelne eine individuelle Wärmewende vollziehen muss, sondern eine Kommune dies für ganze Wohnvierteln planen könnte. Der Thüringer CDU-Mann Voigt greift in und mit der „Bild“ tief in die Populismuskiste, um die Pläne der Bundesregierung zu attackieren. Habeck ignoriere die Ängste der Bürger, meint Voigt. Und schürt sie damit selbst. Aber wer ein bisschen davon versteht, was die Stasi in der DDR angerichtet hat, kann Voigts Vergleich nicht ernst nehmen.
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Robert Habeck ignoriere die Ängste der Bürger, meint Thüringens CDU-Chef Mario Voigt. Und schürt sie damit selbst.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Wie unsere Leserinnen und Leser auf die Lage schauen
An dieser Stelle geben wir Ihnen das Wort:
Gerd Welter aus Langenhagen zum Kommentar über die Razzia gegen die Letzte Generation:
„Den Leitartikel finde ich sehr befremdlich. Absurd, dass ausgerechnet von den ‚obersten Klimaschützern‘ aus München diese Anzeige erfolgt.“
Gerlinde Erhard zum selben Thema:
„Was ich persönlich absolut nicht verstehe, ist unsere junge Generation. Sie demonstriert mit so wenig Intelligenz, dass man sich nur fragen kann: Was haben sie in der Schule und im Elternhaus gelernt? Demonstrieren ja, aber mit Intelligenz – doch da fehlt es haushoch. Eigentlich schade.“
Rolf Hempel auch dazu:
„Ihr Artikel war gut und richtig. Würde ich einen Farbbeutel auf ein Gemälde in einem Museum werfen, wäre das eine strafbare Handlung. Macht das die Letzte Generation, ist das ziviler Widerstand und wird nicht geahndet. Ich aber bekäme eine Anzeige und würde bestimmt in Handschellen abgeführt. Benehme ich mich im Straßenverkehr extrem daneben, bedränge andere Verkehrsteilnehmer mit meinem falschen gefährlichen Verhalten, werde ich dafür mit viel Pech eine Haftstrafe bekommen. Kleben sich Leute der Letzten Generation auf der Straße fest oder an Fahrzeugen, deren Eigentümer sie nicht sind, ist das ziviler Wiederstand. Es ist ja so, dass wir alle vor dem Gesetze gleich sind. Oder werden hier Ausnahmen gemacht? Ich glaube: Ja.“
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Demonstration der Letzten Generation nach den Razzien bei der Gruppe.
© Quelle: Getty Images
Alois Schwind aus Wachtberg zum Text über den Heizungsstreit:
„Der vielstimmige Chor zum heftig umstrittenen Entwurf des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) hat eine weitere Stimme bekommen. Die Wirtschaftsweise Monika Grimm mahnt an, dass bei den anstehenden Regelungen ‚die Hauseigentümer gezielt entlastet werden sollen‘, wobei ‚die Staatsfinanzen nicht überfordert werden dürfen‘. So weit, so richtig. Richtig ist, dass die meisten Bestandsimmobilien nicht den energetischen Zustand heutiger Anforderungen haben. Es stimmt auch, dass viele der 22 Millionen Seniorinnen und Senioren in großen Wohnungen und Häusern leben.
Soll daraus der Schluss gezogen werden, dass das über Jahrzehnte erarbeitete, lieb gewonnene Wohneigentum ohne Grund aufgegeben werden soll, weil die immensen Kosten nicht mehr aufgebracht werden können? Wo sollen diese Menschen dann für den Rest ihres Lebens unterkommen? Der rigorose Durchsetzungswille der von den Grünen betriebenen sogenannten Klimawende wird uns alle in irgendeiner Weise hart treffen, ohne den Beweis erbringen zu können, dass der minimale deutsche Anteil (1,73 Prozent) an den Treibhausgasen überhaupt einen Einfluss auf das globale Klima in der Welt haben wird.“
Hanna Schwarz zum selben Thema:
„Es ist ein Skandal, dass die Klimaziele – obwohl schon 20 Jahre alt – nicht verwirklicht werden. Deswegen hat Deutschland eine neue Regierung gewählt. Und es ist ein Skandal, dass die FDP, die fast keine Stimmen mehr hat, dies verhindert.“
Hans Werner Rolfes aus Nienhagen ebenso dazu:
„Die FDP nutzt jede Gelegenheit, um erforderliche Entscheidungen hin zur CO₂-Neutralität auszubremsen, aktuell das Heizungsgesetz. Mit polemischen und teils falschen Informationen versucht man auf Kosten unserer Zukunft Angst zu schüren, um Wählerstimmen zu fangen. Am Beispiel der armen Rentner, die ihr Haus bei einer Heizungsumstellung verkaufen müssten, wird die unsachliche Diskussion klar. Arm sind viele Rentner ohne Haus.
Hat ein Rentner ein sehr altes, schlecht gedämmtes Haus, hat er durch erhöhten Heizaufwand auch überdurchschnittlich zur CO₂-Umweltbelastung beigetragen. Solche Energieschleudern dürfen wir uns auf Dauer nicht mehr leisten. Hat ein Rentner ein normal oder gut gedämmtes Haus, ist es meistens ein jüngeres Haus, bei dem die Gasheizung noch hält oder repariert werden kann. Muss die Heizung getauscht werden, sollten realistische Zahlen mit eingerechneten Subventionen verglichen werden. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass sich der Tausch der Gasheizung gegen eine Wärmepumpe bei aktuellen Energiepreisen in etwa vier bis fünf Jahren amortisiert haben wird.“
Das ist auch noch lesenswert
Wie es grundsätzlich um den Schutz der Mitglieder unserer Verfassungsorgane bestellt ist, hat mein Kollege Felix Huesmann zusammengetragen. Er kennt sich in Sicherheitsfragen bestens aus. Spitzenpolitiker sind rund um die Uhr potenziellen Bedrohungen ausgesetzt. So nah wie ein Mann dem Bundeskanzler am Mittwoch kam, sollte eigentlich niemand ungeprüft an ihn herangelangen.
Warum die von der Ampelkoalition beschlossene Pflegereform nicht einmal ein Reförmchen ist, analysiert unser Gesundheitsexperte Tim Szent-Ivanyi. Zwar steigen die Leistungen – doch das Plus bleibt weit hinter der Inflation zurück.
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Eine Pflegekraft (links) begleitet die Bewohnerin eines Altenheims beim Gang über den Flur: Zwar steigen die Leistungen – doch das Plus bleibt weit hinter der Inflation zurück. Auch die neue Beitragsregelung für Eltern ist nur halb gar, kommentiert Tim Szent-Ivanyi.
© Quelle: Oliver Berg/dpa
Meine Kollegin Alisha Mendgen hat sich um das Aufregerthema Patriotismus gekümmert, wobei Patriotismus grundsätzlich etwas Gutes ist. Nur darf daraus kein Nationalismus werden. Alisha kommentiert, warum sie es für keine gute Idee hält, mehr Deutschland-Flaggen zu hissen (+)
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Donnerstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Eva Quadbeck. Bis dahin!
Herzlich
Ihre Kristina Dunz
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