Wirtschaft fürchtet um Fachkräfte

47.500 Schüler ohne Hauptschulabschluss: Lehrer fordern Geld für Inklusion

Ein Stuhl steht in einem Klassenzimmer auf dem Tisch.

Ein Stuhl steht in einem Klassenzimmer auf dem Tisch.

Artikel anhören • 4 Minuten

Berlin. In Deutschland verlassen 6,2 Prozent eines Jahrgangs die Schule ohne einen Abschluss: Im Jahr 2021 haben 47.490 junge Menschen ihre Schulzeit beendet, ohne zumindest den Hauptschulabschluss erworben zu haben. Das zeigt eine Studie des Bildungsforschers Klaus Klemm, die die Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegeben hatte.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Für Lehrervertreter ist die Studie ein Warnzeichen: „Diese Zahl ist beschämend für den Bildungsstandort Deutschland. Auch, weil der Aufschrei nur an Tagen wie heute groß ist. Was wir aber wirklich brauchen, ist Prävention“, sagt der Bundesvorsitzende des Verbandes Bildung und Erziehung, Gerhard Brand. Investitionen in die Bildung würden sich langfristig sogar rechnen, so Brand. „Wer weiß, dass jede Person ohne Abschluss den Staat Hunderttausende Euro kostet, kann sich leicht ausrechnen, dass Prävention immer günstiger sein wird als die Akutbehandlung.“

Psychologen, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter werden gebraucht

Ralf Becker, Vorstandsmitglied der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sagt, Schulen müssen inklusiver werden, um das Problem in den Griff zu bekommen: „Wir müssen von Anfang an jedes Kind mitnehmen und integrieren. Nur durch das Zusammensein können sich Kinder gut entwickeln.“ Dazu braucht es aber mehr Geld, gerade für Personal, so Becker. „Mit 30 Schülerinnen und Schülern in einer Klasse ist das nicht zu schaffen. Es müssen Lehrkräfte entlastet werden und mehr Psychologen, Sozialpädagogen und Sozialarbeiter eingestellt werden.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

An einigen Schulen funktioniere dies auch schon, so Ralf Becker. „Aber wir brauchen keine weiteren Leuchtturmprojekte mehr, sondern müssen die Konzepte jetzt in der Fläche verwirklichen.“ Grundsätzlich seien im Koalitionsvertrag der Bundesregierung auch viele richtige Maßnahmen zur Förderung der inklusiven Bildung vorgesehen. „Diese müssen jetzt aber auch umgesetzt werden.“ Auch die Verfasser der Studie fordern in ihrem Fazit den Ausbau des gemeinsamen Unterrichts in einem inklusiven Schulsystem.

Natalie Dedreux: Aktivistin aus Köln mit Down-Syndrom.

„Behinderten Menschen wird grundsätzlich abgesprochen, eine Leistung zu erbringen“

Natalie Dedreux hat ein berührendes Buch über ihre Sicht auf die Welt geschrieben: In „Mein Leben ist doch cool“ zeigt sie, warum Barrierefreiheit und Inklusion noch lange nicht erreicht sind. Auch die Inklusionsaktivistin Andrea Schöne arbeitet daran, das zu ändern. Sie sagt: Eine Gesellschaft, die sich nur für Leistung interessiert, ist schlecht für alle.

100.000 weniger Schulabgänger als vor zehn Jahren

Die Wirtschaft ist ebenfalls besorgt über die Ergebnisse der Studie. Achim Dercks, stellvertretender Geschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer, sagt: „Viele Betriebe stellen sich bei der Suche nach ihren künftigen Fachkräften immer mehr auf Bewerber mit fehlenden oder schlechten Schulabschlüssen ein. So konnten allein im IHK-Bereich 2020 über 8000 Personen auch ohne Hauptschulabschluss eine Ausbildung beginnen.“ Die Unternehmen müssten viel Energie aufwenden, um die Lernlücken dieser Azubis zu schließen, so Dercks. „Wir haben heute rund 100.000 weniger Schulabgänger als vor zehn Jahren. Wir können es uns daher nicht leisten, dass so viele ohne Schulabschluss in das Arbeitsleben gehen.“

Die Zahlen der Schulabbrecher stagnieren laut der Studie seit zehn Jahren auf einem ähnlichen Niveau. Die Bundesländer zeigen im Vergleich aber deutliche Unterschiede auf. Erlangen in Bayern 5 Prozent der Schülerinnen und Schüler keinen Abschluss, sind es in Bremen mit 10 Prozent doppelt so viele. Mecklenburg-Vorpommern hat seine Quote von Schülern ohne Abschluss in den letzten zehn Jahren von 13,3 Prozent auf 8,1 Prozent gesenkt. Im Saarland stieg die Zahl von 4,8 Prozent im Jahr 2011 auf 6,6 im Jahr 2022. Regional zeigen sich zudem ganz unterschiedliche Entwicklungen. So sank die Zahl in Leipzig von 2011 bis 2020 von 12 Prozent auf unter 8. In der nordbayerischen Stadt Hof stieg der Anteil im gleichen Zeitraum von 12,7 Prozent auf den Rekordwert von 27,7 Prozent.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auch innerhalb der untersuchten Jugendlichen gibt es Unterschiede: Sechs von zehn Schulabbrecherinnen und Schulabbrechern sind männlich und junge Menschen mit ausländischer Staatsbürgerschaft fast dreimal so oft vertreten wie ihre übrigen Altersgenossen. Wer die Schule ohne Abschluss verlässt, hat laut den Autoren der Studie wenig Chancen auf eine Ausbildung. Dadurch steigt die Gefahr massiv, in prekären Beschäftigungsverhältnissen zu landen.


Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken