Festnahme im US-Datenleck

Staatsfeind in roter Sporthose

Auf der Spur des Mammutdatenlecks: Das FBI nahm am Donnerstag in Massachusetts einen 21-jährigen Verdächtigen fest.

Auf der Spur des Mammutdatenlecks: Das FBI nahm am Donnerstag in Massachusetts einen 21-jährigen Verdächtigen fest.

Washington. Der Staatsfeind Nummer eins trug rote Trainingsshorts und ein olivgrünes T-Shirt. Langsam schritt er – die Hände hinter dem Kopf – rückwärts an einem gepanzerten Polizeifahrzeug entlang, während ihn ein halbes Dutzend schwer bewaffneter FBI-Beamte im Visier hatten. Die bizarren Szenen aus dem 4000-Seelen-Ort North Dighton im Südosten von Massachusetts wurden am Donnerstag live im Fernsehen übertragen. Einmal fuhr die Kamera nah an den Verdächtigen heran und zeigte die Umrisse eines Milchgesichts.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Kurz darauf trat in Washington Justizminister Merrick Garland vor die Presse. „Heute hat das Justizministerium im Zusammenhang mit der unbefugten Entfernung, Aufbewahrung und Übermittlung von Verschlusssachen eine Festnahme vorgenommen“, berichtete der oberste Ankläger der USA. Der Verdächtige heiße Jack Douglas Teixeira und sei Angehöriger der Nationalgarde von Massachusetts. Teixeiras Anhörung ist für die kommende Woche angesetzt. Die Anklage lautet: „Unbefugte Entfernung, Aufbewahrung und Übermittlung von Verschlusssachen“, wie verschiedene US-Medien berichten. Nach nicht einmal 50 Sekunden verschwand Garland ohne weiteren Kommentar wieder von der Bühne.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Ein 21-jähriger Militärangehöriger im drittniedrigsten Dienstgrad eines „Airman First Class“ (vergleichbar mit einem deutschen Obergefreiten) ist also nach Erkenntnissen der amerikanischen Behörden verantwortlich für das massive Geheimdokumentenleck, das den Umfang des amerikanischen Wissens über höchst geheime russische Kriegsplanungen in der Ukraine offenlegt, brisante Informationen über Nato-Verbündete ans Tageslicht brachte und das Pentagon bis auf die Knochen blamierte. Private Fotos zeigen einen eher teenagerhaft wirkenden jungen Mann in blauer Uniform. Ein politisch motivierter Whistleblower soll er nach Darstellung seiner Freunde nicht sein. Eher ein Wichtigtuer und Waffennarr.

What‘s up, America?

Der USA-Newsletter liefert Hintergründe zu den amerikanischen Entwicklungen in Politik, Gesellschaft und Kultur - jeden zweiten Dienstag.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Der „Original Gangster“ einer Gamergruppe

Schon vor der Festnahme hatten US-Medien die Geschichte eines ominösen „OG“ (Original Gangster) enthüllt, der in einer Chatgruppe mit teils minderjährigen Videogamern höchst sensible militärische Geheimnisse verbreitete. Im Oktober des vergangenen Jahres soll er begonnen haben, vertrauliche Unterlagen über den Ukraine-Krieg zu beschreiben. Als ihm die Gruppenmitglieder nicht glaubten, postete er Fotos von Ausdrucken täglicher Geheimdienst-Briefings, Lagepläne aus dem Kriegsgebiet und vertraulichste Einschätzungen über die Schlagkraft des russischen Militärs.

Jack Teixeira, davon sind die US-Behörden überzeugt, soll dieser „OG“ sein. Erst im Sommer 2020 hatte der junge Mann die Schule verlassen und ging zur Nationalgarde. Dort war er zuletzt in einer Einheit für Cyberkommunikation tätig. Sein genaues Arbeitsfeld ist nicht bekannt. Privat soll er mit 20 oder 30 Gleichgesinnten während der Isolation der Corona-Pandemie die Chatgruppe „Thug Shaker Central“ gegründet haben. Auf der bei Videospielern beliebten, aber auch von Rechtsradikalen genutzten Plattform Discord tauschte man sich über Kriegsspiele, Waffen und Militärausrüstung aus.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der Verdächtige wollte „informieren und beeindrucken“

Teixeira galt als inoffizieller Anführer der Gruppe. „Er war der Mann, der Mythos, die Legende“, sagte ein Mitglied der Chatgruppe der „New York Times“. Sein politisches Weltbild scheint krude zu sein. Auf einem Video, das die „Washington Post“ veröffentlichte, stößt er rassistische und antisemitische Flüche aus, bevor er mit dem Gewehr losfeuert. Er soll kritisch gegenüber der Regierung und dem Ukraine-Krieg eingestellt und ein gläubiger Katholik sein. Er habe „informieren und beeindrucken“ wollen, sagte ein anderes Mitglied der Chatgruppe. Informieren darüber, dass außerhalb der Zockerblase in der Welt ein echter Krieg wütet. Insgesamt 350 Dokumente soll er veröffentlicht haben.

Military personnel of a battallion of one of the Territorial Defence brigades that is involved in action against Russian troops in the Zaporizhzhia direction undergoes combat training with both Soviet grenade launchers and new large-caliber equipment conveyed by Western partners at a training ground in Zaporizhzhia Region, southeastern Ukraine, March 14, 2023. Saporischschja

Geheimdienstleaks über die Ukraine: Wie brisant sind die Informationen wirklich?

Nun fallen ausgerechnet die USA der Ukraine in den Rücken: Geheimen US‑Dokumenten zufolge zweifeln die USA am Erfolg der geplanten Gegenoffensive. Doch wie brisant sind die veröffentlichten Papiere tatsächlich?

Nun ist die amerikanische Öffentlichkeit fassungslos. Wie konnte ein Soldat mit Mannschaftsdienstgrad Zugang zu teils hochgeheimen Informationen haben? Eine Erklärung ist, dass Zehntausende Militärangehörige die erforderliche Sicherheitsstufe besitzen. „Wir vertrauen unseren Soldaten eine Menge Verantwortung in jungem Alter an“, sagte Pentagon-Sprecher Patrick Ryder. Ein wenig hilflos wirkte der Hinweis des Generals, dass jeder Soldat eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben müsse.

Krude Theorien von Verschwörungsideologen

Alarmierend ist auch, dass dem Pentagon das Datenleck offenbar erst Anfang des Monats bekannt wurde, obwohl die sensiblen Informationen seit Monaten im Netz herumgeisterten und die Gamerplattformen bei Sicherheitskräften als Tummelplätze russischer Agenten bekannt sind.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Schließlich klingt die Geschichte vom 21-jährigen Gefreiten, der seine Zockerkumpels beeindrucken wollte und dabei versehentlich die geheimsten Informationen der USA in die Welt herauspustete, so aberwitzig, dass Verschwörungsideologen zur Höchstform auflaufen. Die rechtsextreme Abgeordnete Marjorie Taylor Greene schaffte es, innerhalb weniger Stunden den verdächtigen Teixeira zunächst zum mutigen Whistleblower und dann zu einem Phantom der Biden-Regierung zu machen.

„Jack Teixeira ist weiß, männlich, christlich und gegen den Krieg. (...) Er hat die Wahrheit über die Truppen in der Ukraine gesagt. Ihr solltet euch fragen, wer der wirkliche Feind ist“, twitterte die Republikanerin zunächst. Kurz darauf unkte sie, es sei höchst unwahrscheinlich, dass die unfähige Biden-Regierung „auf wundersame Weise“ die undichte Stelle gefunden habe. „Das sind dieselben Leute, die euch eure Waffen wegnehmen wollen“, mahnte sie, „denkt darüber nach!“


Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Verwandte Themen

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken