Vor der Stichwahl: In der Türkei trumpfen die Rechtsextremisten auf
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Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan (rechts), schüttelt Sinan Ogan, Drittplatzierter des ersten Wahlgangs, die Hand. Ogan hat Amtsinhaber Erdogan seine Unterstützung für die Stichwahl ausgesprochen.
© Quelle: Uncredited/Turkish Presidency/AP
Ein Rechtsruck geht durch die Türkei. Das zeigt nicht nur die erste Runde der Präsidentenwahl, bei der am 14. Mai der konservativ-islamische Amtsinhaber Erdogan seinen Herausforderer Kilicdaroglu klar schlagen konnte und nur knapp die 50‑Prozent-Marke verfehlte. Auch aus der gleichzeitig stattfindenden Parlamentswahl gingen Politiker und Partei des rechten Spektrums gestärkt hervor. Von den 16 Parteien in der neuen Nationalversammlung sind zehn rechts der Mitte angesiedelt.
Dazu gehören die ultra-nationalistische MHP von Erdogans Koalitionspartner Devlet Bahceli, dem Chef der neofaschistischen Grauen Wölfe, aber auch mehrere kleine Splitterparteien, die mit der Hilfe von Erdogans Volks-Allianz den Sprung ins Parlament schafften. Darunter sind die islamistische Neu Wohlfahrtspartei (YRP) und die Hüda-Par, der politische Arm der islamistischen Terrororganisation Hizbullah.
Auch im Oppositionsbündnis sitzen Rechtsextreme
Aber auch zur oppositionellen Allianz der Nation unter Führung der im weitesten Sinne sozialdemokratischen CHP gehört eine rechtsextreme Gruppierung, die Gute Partei (IYI) der abtrünnigen MHP-Politikerin Meral Aksener. Von den 600 Abgeordneten im neuen Parlament gehören 404 nationalistischen, konservativen oder rechtsextremen Gruppierungen an. Symbolfigur dieses Trends ist ein Mann, der zwar nicht der neuen Nationalversammlung sitzt, aber als Königsmacher bei der Stichwahl am kommenden Sonntag gilt: Sinan Ogan. Auch er ist ein ehemaliger MHP-Politiker, der als Kandidat der ultrarechten und fremdenfeindlichen Ata-Allianz in die Präsidentenwahl ging und 5,2 Prozent der Stimmen bekam. Am Montag forderte Ogan seine Anhänger auf, in der Stichwahl für Erdogan zu stimmen. Wahlforscherinnen und Wahlforscher gingen davon aus, dass ohnehin die meisten der 2,8 Millionen Ogan-Wähler am Sonntag zu Erdogan wechseln werden. Erdogan hatte in der ersten Runde bereits 2,5 Millionen Stimmen Vorsprung vor Kilicdaroglu. Nach der Wahlempfehlung von Ogan geht er als klarer Favorit in die Stichwahl.
Erdogan oder Kilicdaroglu? Stichwahl in der Türkei soll Entscheidung bringen
Auf dem Balkon seines Parteigebäudes in Ankara gab sich Erdogan am frühen Montagmorgen siegessicher.
© Quelle: Reuters
Dem Staatschef spielt der Rechtsruck in die Karten. Keiner bedient die ultrarechte und konservativ-nationalistische Klientel so versiert wie er – mit Hasstiraden gegen Schwule und Lesben, mit Kriegsdrohungen gegenüber dem Nachbarn Griechenland, Attacken gegen den Westen und Wunschträumen wie einer türkischen Mondlandung und der Wiederauferstehung des Osmanenreichs.
Herausforderer Kilicdaroglu schlägt vor der Stichwahl nationalistische Töne an
Es mag dem Sozialdemokraten Kilicdaroglu nicht leichtfallen, aber er muss in der Stichwahl vor allem die Unterstützung rechter Wählerinnen und Wähler gewinnen, wenn er Erdogan schlagen will. Er schlägt deshalb bereits stramm nationalistische Töne an. „Erdogan!“, rief er dem Amtsinhaber jetzt zu, „Sie haben die Grenzen und die Ehre des Landes nicht geschützt, sondern mehr als zehn Millionen Flüchtlinge reingelassen.“ Kilicdaroglu verspricht: „Ich werde alle Flüchtlinge nach Hause schicken, sobald ich an die Macht komme!“
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Erdogan steht in der Migrationspolitik unter Druck. Die Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg wurden zwar in der Türkei anfangs gastfreundlich aufgenommen. Aber inzwischen ist die Stimmung gekippt. Viele Menschen sehen in den Migranten unerwünschte Konkurrenten im Wettbewerb um Arbeitsplätze, Sozialleistungen und bezahlbaren Wohnraum. Sinan Ogan knüpfte seine Unterstützung für Erdogan an die Zusage, dass alle Flüchtlinge das Land verlassen müssen.
In der EU hört man diese Pläne mit wachsender Besorgnis. Denn wenn die Türkei Millionen Migranten nach Syrien und Afghanistan zu deportieren versucht, könnte das eine neue Flüchtlingswelle nach Europa auslösen. Als erste EU‑Länder wären dann Griechenland und Bulgarien mit wachsendem Migrationsdruck an ihren Grenzen zur Türkei konfrontiert.