Warum Lindner den Ärger mit China ausbaden muss
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Christian Lindner wurde von China ausgeladen, wenngleich nicht in seiner Funktion als Finanzminister, sondern als FDP-Chef und damit Chef von Bettina Stark-Watzinger.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
um die Ecke des Außenministeriums in Berlin am Werderschen Markt parkte am Dienstag in der Maisonne eine Kolonne dunkler Limousinen, teils mit Blaulicht versehen. Das Aufgebot transportierte den chinesischen Außenminister Qin Gang vom militärischen Teil des Flughafens Schönefeld nach Mitte. Der Mann aus Fernost kam zu früh und wartete artig auf der Straße, bis seine deutsche Amtskollegin ihn empfangen konnte.
Die Höflichkeit des chinesischen Spitzenpolitikers sollte man nicht überinterpretieren. Sie war eine Geste der Professionalität, nicht der Demut. Die eigentliche Nachricht war, dass Qin überhaupt nach Berlin gekommen war, nachdem er sich Mitte April bei Baerbocks Besuch in Peking über die rhetorisch offensive deutsche Außenministerin geärgert hatte. Er hatte sie wissen lassen, dass China keine Belehrungen zum Thema Menschenrechte brauche. Trotz der bei Baerbock immer bestehenden Gefahr, sich ein paar Belehrungen einzufangen, hat sich der chinesische Außenminister nach Berlin und dort auch vor die freie Presse gewagt. Mehr noch: Er kam mit der Botschaft in die deutsche Hauptstadt, dass China Wahrer des Weltfriedens sei. Welchen Beitrag die Militärmanöver der Chinesen vor der Küste Taiwans nun konkret zum Weltfrieden beitragen, so konkret wurde der Gast aus Fernost dann doch nicht.
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Annalena Baerbock empfängt den Außenminister von China, Qin Gang.
© Quelle: IMAGO/photothek
Während Baerbock also ihren Amtskollegen trotz der offensichtlichen Differenzen treffen konnte, wurde Finanzminister Christian Lindner ganz offensichtlich aus Peking ausgeladen. Als vorgeschobenen Grund nannte die chinesische Seite Terminschwierigkeiten. Viel offensichtlicher kann man es in der Welt der Diplomaten nicht machen, wenn man einen angekündigten ausländischen Gast vor der Weltöffentlichkeit düpieren möchte. Der Schlag ging weniger gegen den deutschen Finanzminister – dafür gezielt gegen den FDP-Vorsitzenden und damit auch Chef von Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Die Liberale war im März durch Taiwan getourt – als erstes deutsches Kabinettsmitglied seit 25 Jahren. Aus Sicht der Chinesen ein Affront, ein diplomatischer Fehdehandschuh. Lindner muss es nun ausbaden.
Der Umgang der demokratischen Welt mit Taiwan entspricht seit Jahrzehntem einem einzigen Eiertanz. Deutschland trägt offiziell die Ein-China-Politik mit. Das heißt, allein die Volksrepublik wird in China als souveräner Staat anerkannt. Auf der anderen Seite ist Taiwan nun einmal eine gefestigte Demokratie, die ihre Unabhängigkeit von China verteidigen will.
Besuche von westlichen Regierungsmitgliedern dort wecken Assoziationen mit den Solidaritätsbesuchen demokratischer Vertreterinnen und Vertreter in Kiew. Eben diesen Vergleich verbittet sich China und hat dafür den guten Grund, dass Taiwan anders als die Ukraine kein unabhängiger Staat ist. Dennoch wird der Westen es nicht hinnehmen können, sollte China aus seinen maritimen Militärmanövern vor dem Inselstaat einen Überfall werden lassen. Die Reaktion des Westens muss aber anders aussehen als in der Ukraine. Sanktionen gegen China sind möglich. Aus einem Krieg müsste sich Europa heraushalten.
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Kinmen, eine taiwanesische Insel, liegt so nah an China, dass der Tiefwasserhafen von Xiamen weniger als fünf Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Wassers liegt. Der Strand ist mit Panzerbarrikaden aus früheren Konflikten übersät.
© Quelle: Getty Images
Und deshalb wäre es so wichtig, wenn Berlin und Brüssel mal eine Linie finden könnten, wie man sich überhaupt gegenüber China aufstellen möchte. In Deutschland schafft es noch nicht einmal die Ampelregierung, eine gemeinsame Linie zu finden. Die im Koalitionsvertrag festgelegte China-Strategie wird kaum bis zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen am 20. Juni fertig sein. Zu groß ist die Sorge im Kanzleramt, dass das, was die Grünen und die Liberalen wollen, eher eine Anti-China-Strategie ist.
Hilfreich wäre es auch, wenn es der Ampel gelungen wäre, einen Nationalen Sicherheitsrat einzurichten, in dem man neben einer überwölbenden China-Strategie die aktuellen politischen Fragen im Umgang mit den schwierigen Partnern in der Welt berät und beantwortet. Doch Kanzleramt und Außenministerium sind viel zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig in Schach zu halten, als dass sie sich gemeinsam um die Sicherheitsfragen der Nation kümmern könnten.
In Brüssel wiederum läuft eine muntere Debatte, ob man angesichts der übergroßen Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von China nun eine Strategie des Decoupling (abkoppeln) oder des Derisking (Abhängigkeit reduzieren) fahren soll. Und obwohl eine spürbare Reduzierung des Handels mit China die EU hart treffen würde und ohnehin ein Prozess von Jahren wäre, ist man in Peking hellhörig geworden. Das wiederum erklärt die eher moderate Abstrafung der Liberalen für den Besuch in Taiwan und das gleichzeitig formvollendete Auftreten des genervten chinesischen Außenministers. Den Handel mit Europa möchte man schon in Schwung halten.
Offene Worte
„Ich kann diese Rechtsaußenparteien nicht ab, und speziell in Deutschland halte ich die für total verzichtbar.“
Joachim Gauck,
Bundespräsident a. D.
Zwei Eigenschaften haben Joachim Gauck, der von 2012 bis 2017 Bundespräsident war, immer ausgezeichnet: Seine erfrischende Offenheit und sein klarer demokratischer Kompass. Seitdem er aus dem Amt ausgeschieden ist, hält Gauck weiter Vorträge, führt öffentliche Diskussionen und gibt Interviews. Bücher schreibt er auch noch. Seinen klaren Worten zur AfD, die er in der Sendung „Maischberger“ gesagt hat, ist eigentlich nichts hinzuzufügen – außer natürlich, dass leider bundesweit 16 Prozent der Wahlberechtigten die AfD nicht für verzichtbar halten. Im Osten ist es in vielen Regionen sogar eine relative Mehrheit.
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Joachim Gauck und Sandra Maischberger in der ARD-Talkshow maischberger.
© Quelle: IMAGO/Future Image
Wie Demoskopen auf die Lage schauen
Das Meinungsforschungsinstitut Forsa beschäftigt sich in dieser Woche mit der „Unzufriedenheit der großen Mehrheit“ der Bürgerinnen und Bürger mit der Energie- und Klimapolitik der Ampelregierung. Fast 80 Prozent der Befragten meinen demnach, dass die Regierung bei ihren Maßnahmen zum Klimaschutz die finanziellen Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger nicht in ausreichendem Maße berücksichtige. Die Grünen sieht Forsa inzwischen in der Minderheit mit ihren Positionen. Nur 28 Prozent der Bevölkerung, aber 65 Prozent der Grünen-Anhänger hielten die Abschaltung der Kernkraftwerke für richtig. Für die Aktionen der radikalen Klimaaktivisten hat laut Forsa in Deutschland nur jeder Fünfte Verständnis. Unter den Grünen-Anhängern ist es eine Mehrheit von 52 Prozent. Die sinkende Zustimmung zur Politik der Grünen spiegelt sich auch in der Sonntagsfrage wider, in der die Grünen nur noch mit der AfD gleichauf liegen.
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© Quelle: Forsa
Das ist auch noch lesenswert
Ob der ESC der Völkerverständigung dient oder am Ende nur ein großes kommerzielles Schlagerspektakel ist, darüber lässt sich streiten. Die deutsche Band Lord of the Lost hofft jedenfalls darauf, dass das Ergebnis einer möglichen Völkerverständigung beim ESC in diesem Jahr in Liverpool nicht bei null Punkten für Deutschland liegt. Imre Grimm wird für das RND alles aus der Nähe beobachten und das ganze Wochenende berichten. Leadsänger Chris Harms ordnete im Interview mit Imre den Stilmix der Band so ein: „Für die Metaller sehen wir zu schwul aus, für die Gothics sind wir zu lustig und zu hart, für die Rocker sind wir zu Metal.“
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Chris „The Lord“ Harms von der Gruppe Lord of the Lost. Die Gruppe nimmt am Eurovision Song Contest mit dem Song „Blood & Glitter“ als deutsche Gruppe beim Finale teil.
© Quelle: Peter Kneffel/dpa
Wir steuern ohnehin auf ein sehr ereignisreiches Wochenende zu. Am Sonntag entscheiden die Türkinnen und Türken, ob Recep Tayyip Erdogan ihr Präsident bleiben soll. Can Merey ist vor Ort und wird berichten. Wie schlecht es um die Pressefreiheit am Bosporus bestellt ist, schildert der Kollege in seinem Krisen-Radar, das jeden Mittwoch als Newsletter erscheint. Der Kollege schildert auch, wie er selbst unter Agentenverdacht geraten ist.
Vor seinem Abflug in die Türkei war Can in Mali. Auch den Text dieser Reise möchte ich Ihnen ans Herz legen. Noch ein Jahr lang wird die Bundeswehr in dem bettelarmen afrikanischen Land Mali die Lage sichern. Dann soll die deutsche Truppe abziehen. Für die Bevölkerung könnte der Abzug ähnlich wie der Rückzug des Westens aus Afghanistan schlimme Folgen haben. Unser Krisenreporter Can Merey war vor Ort, hat eine Bundeswehrpatrouille begleitet und den Überlebenskampf der Bevölkerung dort beobachtet. (+)
Am Sonntag wählt auch noch Bremen. Wer wissen möchte, wie sich die politische Lage in der Hansestadt sortiert und warum die Stadt für die Union ein schwieriges Pflaster bleibt, dem sei die Analyse von Alisha Mendgen empfohlen.
„Das in New York verkündete Zivilurteil gegen Donald Trump ist eine düstere Premiere in der Geschichte der USA. Nie zuvor musste die amerikanische Justiz einen früheren Präsidenten wegen sexueller Übergriffe zu Schadensersatz verurteilen“, schreibt mein Kollege Matthias Koch. Seinen ganzen Kommentar über Trump und seine aus europäischer Sicht mehr zu erklärende Popularität bei den Republikanern lesen Sie hier. (+)
Das Autorenteam dieses Newsletters meldet sich am Samstag wieder. Dann berichtet meine Kollegin Kristina Dunz. Bis dahin!
Herzlichst
Ihre Eva Quadbeck
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