Fachkräfteeinwanderung

Wie Kanada seine Willkommenskultur geschaffen hat

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist zu Besuch in Kanada: Jährlich wandern Hunderttausende Fachkräfte in das Land ein, und die Kanadier befürworten das.

Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist zu Besuch in Kanada: Jährlich wandern Hunderttausende Fachkräfte in das Land ein, und die Kanadier befürworten das.

Toronto/Ottawa. Arbeitsminister Hubertus Heil zitiert gerne Max Frisch. Der Autor sagte einst über die sogenannte Gastarbeitergeneration der 1950er- und 1960er-Jahre: „Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.“ Damit drückte Frisch in einem Satz die massiven Versäumnisse der damaligen Politik aus: Statt den Menschen eine Bleibeaussicht zu bieten, wollte die Politik sie nach getaner Arbeit am liebsten wieder in die Heimat schicken.

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Auch bei seinem Besuch in Toronto wiederholt SPD-Politiker Heil das Zitat von Frisch und kritisiert: „Man hat Integration weder angeboten noch erwartet.“

Kann Deutschland von den Costi-Beratungsstellen in Kanada lernen? Die Kabinettskollegen Faeser und Heil schauen sich das an.

Kann Deutschland von den Costi-Beratungsstellen in Kanada lernen? Die Kabinettskollegen Faeser und Heil schauen sich das an.

Kanada hingegen hat die Einwanderung und Integration von Fachkräften bereits seit den späten 1960er-Jahren vorangetrieben. Bei der Integration helfen beispielsweise die 17 Costi-Beratungsstellen, eine davon in Toronto. Arbeitsminister Heil und Innenministerin Nancy Faeser (ebenfalls SPD) sind bei Costi zu Gast, um sich Inspiration für Deutschland zu holen.

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Die staatlich geförderte Agentur berät Einwanderer und Flüchtlinge bei der Karriereplanung, beim Schreiben von Bewerbungen und bei der Kleiderwahl für Vorstellungsgespräche. Ein „Wrap-around-Service“ – ein Rundumservice, wie es die Costi-Chefin Samina Sami nennt. Willkommenskultur in Kanada eben.

„Ich bin eine (neue) Kanadierin“ steht auf dem Plakat der Costi-Beratungsstellen: Wer nach Kanada einwandert, soll dauerhaft bleiben.

„Ich bin eine (neue) Kanadierin“ steht auf dem Plakat der Costi-Beratungsstellen: Wer nach Kanada einwandert, soll dauerhaft bleiben.

In der Bundesrepublik läuft die Fachkräfteeinwanderung sowie die -integration bekanntlich noch nicht sehr erfolgreich. Aktuell arbeitet die Ampel an einem Fachkräftegesetz, das unter anderem ein Punktesystem nach kanadischem Vorbild vorsieht. Am Dienstag zeigte sich Hubertus Heil zuversichtlich, dass das Gesetz am nächsten Mittwoch im Kabinett sein wird.

Ein bisschen Rückenwind aus Kanada schadet da also nicht. Doch die Offenheit in Deutschland ist eine Baustelle, die sich nicht nur mit einem Gesetz verbessern lässt. Innenministerin Faeser wiederholt deshalb mehrmals, Kanada werde ausgewählt wegen der Willkommenskultur. Es klingt fast wie eine Plattitüde. In ihr steckt aber Wahrheit.

Kaum Anfeindungen in Kanada

Mehrere Beschäftigte mit Migrationsgeschichte berichten bei den Unternehmensbesuchen, noch nie Anfeindungen erlebt zu haben. Zum Beispiel der Techniker Nebiyou, der Ende der 1990er-Jahre von Äthiopien nach Kanada zum Studieren gezogen ist. Heute arbeitet er bei Siemens Healthineers in Ottawa, eine Firma, die Blutmessgeräte herstellt. „Kanada ist ein gastfreundliches Land“, sagt er.

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Faeser und Heil informieren sich in Ottawa über Fachkräfteeinwanderung
20.03.2023, Kanada, Ottawa: Nancy Faeser (SPD, r), Bundesministerin des Innern und Heimat, und Hubertus Heil (SPD), Bundesminister für Arbeit und Soziales, sprechen bei einem Unternehmensbesuch bei der Firma Siemens Healthineers mit den Mitarbeitern. Ziel der Reise sind Gespräche mit den zuständigen Ministerinnen und Ministern für Arbeitsmarktpolitik, Einwanderung und öffentliche Sicherheit. Thema soll die Gewinnung von Fachkräften sein. Außerdem wollen sich die Minister über das kanadische Einwanderungsrecht informieren. Foto: Britta Pedersen/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Kanada gilt als Vorzeigeland für die Fachkräfteeinwanderung. Bundesinnenministerin Faeser und Arbeitsminister Heil informieren sich daher vor Ort.

Das heißt nicht, dass es Anfeindungen und Hass nicht auch in Kanada gibt: Die Terroranschläge auf eine islamische Familie im Jahr 2021 und auf eine Moschee im Jahr 2017 schockierten die Nation. Islamophobie ist in Kanada ebenfalls ein Problem. Aber glaubt man den Erzählungen der Einwanderer, ist der Hass weniger verbreitet als in anderen Ländern.

Warum ist das so?

Technisch gesehen hat in Kanada jeder eine Einwanderungsgeschichte: Nur die indigene Bevölkerung kann von sich sagen, dass sie schon immer in Kanada gelebt hat. Insbesondere in den Metropolen zeigt sich die Vielfalt deutlich: Die Hälfte der Einwohner in Toronto haben dem nationalen Statistikamt zufolge Einwanderungsgeschichte. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei Siemens Healthineers etwa haben insgesamt 40 verschiedene Migrationshintergründe. Eine Beschäftigte aus dem Libanon schwärmt von den „unterschiedlichen Kulturen im Land“. Das sei einzigartig und ermögliche echte Religionsfreiheit.

Debatten über eine kanadische Leitkultur, wie man sie in Deutschland aus den vergangenen Jahren kennt, verfangen in Kanada nicht. Das zeigt sich auch in der Parteienlandschaft: In Kanada gibt es keine große Partei, die Zuwanderung ablehnt. Im Gegenteil: Die Rechtskonservativen etwa forderten zur Wahl 2021 ein Einwanderungssystem, das internationale Talente willkommen heißt und Zuflucht für Geflüchtete bietet. Die Einwanderung ist auch wegen ihrer langen Historie in der Breite der Gesellschaft akzeptiert und vor allem aufgrund des demografischen Wandels gewünscht.

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Kanada und Deutschland nur bedingt vergleichbar

Doch Kanada hat es in vielerlei Hinsicht leichter als Deutschland: Der Staat bleibt von den Flüchtlingskrisen aufgrund der geografischen Lage nahezu unberührt. Zwar verzeichnet Kanada einen Anstieg von Flüchtlingen, die illegal die Grenze mit den USA übertreten, aber nicht in dem Maße wie Deutschland. Aus der Ukraine beispielsweise hat Kanada bisher nur etwa 150.000 Menschen aufgenommen. Deutschland hingegen mehr als eine Million.

Nach seinem Besuch bei der Beratungsagentur Costi sagt Heil auch deswegen: „Man kann die Systeme nicht eins zu eins übertragen.“ Aber er versichert mit Blick auf die Gastarbeitergeneration, Fehler der Vergangenheit „nicht ein zweites Mal“ zu machen.


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