Die deutsche Dönerkrise: Brauchen wir die Fast-Food-Preisbremse?
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„Mit scharf“: Döner Kebab im Fladenbrot in einem Dönerladen in Stuttgart.
© Quelle: picture alliance / Markus Mainka
Manchmal ist Politik gar nicht so kompliziert. „Hey Cem! Wann Bubatz legal??“, fragte vor gut einem Jahr ein skatender Kiffer mit legendärer Lockerheit mitten in einem TV-Interview Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im Vorbeirollern – und wurde mit drei Worten zum Meme. Ähnlich niedrigschwellig klang jüngst auch ein Appell an die Bundesregierung: „Selam Aleykum Bruder Herz“, schrieb da ein Instagram-Nutzer direkt an Bundeskanzler Olaf Scholz – „mach mal döner 2€ oder 3€“. Klarer Auftrag, Kanzler: Hey Olaf! Wann Döner billig?
Der Dönerpreis explodiert. Mancherorts kostet der kalorienintensive Klassiker schon 8 bis 9 Euro. Die Inflation macht den Allerweltsfladen zum Luxusgut. Die Protestwelle von Dönerfreunden gegen die Preisentwicklung schwillt an – und lässt offenbar auch die Bundesregierung nicht kalt, die sich zur Dönerkrise auf ihrem offiziellen Instagram-Account wie folgt äußern zu müssen meinte: Die Verbraucherpreise seien 2022 gegenüber dem Vorjahr um 13,4 Prozent gestiegen, dazu kämen „Lieferkosten, Löhne, Ladenmiete und vor allem Ausgaben für Energie“ wegen des Krieges in der Ukraine.
Und weiter heißt es: „Die Bundesregierung hilft mit den Energiepreisbremsen auch den kleinen Unternehmern. Wie dem Dönerhändler.“
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Gut. Das hilft jetzt noch keinem akut hungrigen Dönerfreund so richtig weiter. Aber bemerkenswert ist ohnehin nicht, was die Regierung sagt, sondern dass sie etwas sagt. Der Dönerpreis beschäftigt die deutsche Bundesregierung – es ist ein klares Indiz für die symbolische Sonderstellung, die dieser kulturelle Nahrungszwitter in diesem Land einnimmt.
Siegeszug von Berlin-Kreuzberg aus
Wer genau ihn hierzulande erstmals anbot, ist historisch ungeklärt. Sicher ist aber: Das traditionelle Arbeiteressen türkischer Gastarbeiter assimilierte sich in den Siebzigerjahren in Berlin-Kreuzberg, eroberte von dort aus die deutsche Mehrheitsgesellschaft, wurde variiert und an hiesige Geschmäcker angepasst und entwickelte sich zum universalen Fast-Food-Bestseller – nicht ganz deutsch, nicht mehr türkisch, eine kulturelle Hybridmahlzeit.
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Ein Positivbeispiel für kulturelle Aneignung
Im Kern ist der Döner damit ein prototypisches Beispiel für eine positive Form der kulturellen Aneignung – eine deutsch-türkische Erfolgsgeschichte, die in Deutschland viel populärer ist als in der Türkei. Der Döner ist das klassenlose, schnelle Zwischendurchfutter für jugendliche Nachteulen, Partygänger, Workaholics, Monteure, Bauarbeiter, Taxifahrer und urbane Eckensteher. Er hat Freunde in allen Soziotopen, er wirkt mit Salat gefühlt gesünder als seine frittierten Fast-Food-Geschwister und er geht – von Statistikern solide geschätzt – allein in der Fladenbrotvariante täglich mehr als 3,1-millionenmal in Deutschland über die Theke. 60.000 Mitarbeiter in 18.500 Dönerbunden leben in Deutschland vom Dönerverkauf. Alle Varianten zusammen kommen auf 400 Tonnen Dönerfleisch. Pro Tag. Herzland ist noch immer Berlin.
„Mit Lamm“, „mit Hähnchen“, „mit allem“, „mit scharf“, „ohne Zwiebeln“, „mit Currysoße“, „mit Cocktailsoße“, „mit doppelt Fleisch“ – allein der ritualisierte Bestellvorgang hat für die deutsch-türkische Verständigung vermutlich mehr getan als manches gut gemeinte Multikulti-Projekt mit oder ohne Claudia Roth.
Und der Döner gemeindet fröhlich noch mehr Kulturen ein: Auch mit „Tsatsiki“, „Halloumi“ oder „griechischem Käse“ ist er zu haben. Selbst türkischsprachige Dönerfreunde bestellen „mit scharfer Soße“ ungerührt auf Deutsch – ein weiteres Indiz für die vereinigenden Qualitäten des Döners, dem alle Gammelfleischskandale langfristig wenig anhaben konnten. Es steckt viel Wahrheit in den alten Satz: Selbst Nazis essen heimlich Döner.
Preise für Döner und Gänsebraten steigen deutlich an
Inflation und hohe Energiepreise setzen auch gastronomischen Betrieben zu. Beim traditionellen Gänsebraten sorgen gleich mehrere Krisen für Preissprünge.
© Quelle: Reuters
Inzwischen ist die Zahl der Neukreationen unübersehbar: vom „Trüffel Delüks“-Döner bis zum Döner mit Granatapfel, Frühlingszwiebeln oder Blattgold. Im Berliner Luxushotel Adlon gibt‘s den Edeldöner im Fladenbrot mit Kalbsrückenstreifen, Trüffelcreme und Rotkohl für prächtige 29 Euro. Es ist der teuerste Döner Deutschlands.
Fast Food for Future
Der Döner inspiriert Menschen selbst dazu, Gutes zu tun. So wie Derek Breakey aus Manchester. Der Engländer hat sich einst aufopferungsvoll der guten Sache verschrieben – mit einem Charity-Projekt, bei dem es nur Gewinner gab: Mr. Breakey (34) aß für den guten Zweck 60 Döner im Monat. Das sind zwei pro Tag. Mit der medial erzeugten Aufmerksamkeit sammelte er Spenden für eine Organisation zur Behandlung von Nervenscheidentumoren. Sein Rekord lag zuvor bei 39 Stück in 28 Tagen. Er habe, sagte er in einem Interview, bereits „innige Freundschaften zu mehreren Dönerverkäufern“ entwickelt. Kein Zweifel: Derek tat das Werk des Herrn. Fast Food for Future - ein Modell mit Zukunft. Es schlemmt sich deutlich leichter mit ideologischem Überbau.
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400 Tonnen pro Tag: Arbeiter produzieren Dönerspieße.
© Quelle: picture-alliance/ dpa
Nun also: die Preiskrise. Andere „deutsche“ Schnellesslegenden wie Pizza und Currywurst/Pommes (auch so ein Kulturzwitter made in Germany) haben die Schwelle von 5 Euro schon länger überschritten. So richtig Nervosität aber löste erst der Preisschub beim Döner aus. Denn hier sind Emotionen im Spiel. Hier geht es um Vertrauen, Verfügbarkeit, Gewohnheiten, Liebe und Hunger.
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Der Bundeskanzler lächelt nur
„Kannst Du bitte Dönerpreise auf 5 Euro machen?“, fragt ein Nutzer bei Instagram den Kanzler. In einem Youtube-Video ruft ein Mann Scholz, der gerade ein Gebäude verlässt, zu: „Ich zahle 8 Euro für einen Döner. Rede mit Putin, ich will 4 Euro für einen Döner zahlen!“ Der Bundeskanzler lächelt und schweigt. „Beim Döner hört der Spaß auf“, kommentiert ein Zuschauer.
Doch allein die reinen Zutaten eines einzigen Döners kosten nach Berechnungen eines Experten beim TV-Sender RTL aktuell schon 3,01 Euro. Dazu kommen Lohnkosten, Energie, Miete. Um am Döner überhaupt noch zu verdienen, müssen Dönerverkäufer mehrere Euro aufschlagen. Dann wird es früher oder später zweistellig.
Auch Rewe experimentierte mit dem Döner-Verkauf
Der Döner ist ein Milliardengeschäft. Seine Anziehungskraft ist so groß, dass auch der Supermarktkonzern Rewe im vergangenen Jahr mit dem Verkauf von Döner experimentierte. In einzelnen Rewe-Märkten gab es das gefüllte Fladenbrot zu genau dem Betrag, der vor einigen Jahren noch der Straßenpreis für einen Döner war: 3,50 Euro. Der Aufschrei unter selbstständigen Dönerladen-Betreibern war gewaltig. Der Vorwurf: Rewe nutze den billigen Döner als Lockmittel und arbeite nicht kostendeckend. Bei den kleinen Dönerunternehmern dagegen laufen die Kosten komplett aus dem Ruder – allein die Energie für die Drehspießöfen frisst jeden Gewinn. Die Öfen müssen bis zu 13 Stunden auf 400 Grad gehalten werden. Da freut sich jedes Energieunternehmen.
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Einst zum Niedrigpreis verkauft: In diesem Wuppertaler Dönerladen kostete der Döner im Jahr 2004 nur einen Euro. Grund war ein heftiger Preiskampf mit einem Dönerladen in der Nachbarschaft. Dumpingpreise für Döner wurden damals emotional diskutiert, weil die Qualität teilweise massiv litt.
© Quelle: picture-alliance / dpa
Und der Fladen ist nicht der einzige essbare Seismograph für den Zustand einer Gesellschaft und die Wirtschaftsentwicklung. Der Big-Mac-Index etwa, 1986 von der britischen Zeitung „The Economist“ erfunden, vergleicht die Kaufkraft verschiedener Währungen anhand der Preise für einen Big Mac in verschiedenen Ländern. Am Beispiel eines identischen Produkts in weitgehend identischer Größe und Qualität und seines jeweiligen Preises lässt sich so, vereinfacht gesagt, ablesen, was das Geld im jeweiligen Land wert ist.
Überhaupt sind Lebensmittelpreise ein äußerst sensibler Bereich im gesellschaftlichen Gefüge. So schrieb Helmuth James Graf von Moltke aus Kreisau im Sommer 1933 an seine Mutter: „Das ganze Dorf ist für die Nazis, weil die Schweinepreise gestiegen sind.“ In diesem einen Satz des späteren Mitverschwörers vom 20. Juli 1944 liegt die ganze Tragik der Politik: Man kann machen, was man will, man kann politische Gegner entlarven, Visionen entwickeln, Umwälzungen organisieren – letztlich kann es um die Schweinepreise gehen. Beziehungsweise: die Dönerpreise.
„Was ist eigentlich mit den Bierpreisen?“
Nun droht wegen der Dönerkrise gewiss kein gefährlicher politischer Umsturz. Ein 10-Euro-Döner aber wäre ein echter Rückschlag. Es muss möglich sein, in diesem Land für 5 bis 6 Euro unterwegs ordentlich satt zu werden. Die Reaktionen auf die dürren Worte der Bundesregierung reichen von „Habt ihr keine anderen Sorgen?“ bis „Bitte Herr Scholz, senken Sie die Dönerpreise ich bezahle für einen Döner 9 Euro und der ist nicht mal bio“.
Und derweil bahnt sich schon die nächste Krise in Fragen der deutschen Grundversorgung an. „Was ist eigentlich mit den Bierpreisen?!“, fragt ein Nutzer. „Da redet wieder keiner drüber.“ Echt mal. Ein neuer Fall für die Bundesregierung. Hey Olaf! Wann Bier wieder billig?