Urteil am 27. Juli

Internationale Schiedsverfahren: Konzernen droht Niederlage beim BGH

Ein Hinweisschild mit dem Bundesadler und dem Schriftzug Bundesgerichtshof, aufgenommen vor dem Bundesgerichtshof (BGH).

Ein Hinweisschild mit dem Bundesadler und dem Schriftzug Bundesgerichtshof, aufgenommen vor dem Bundesgerichtshof (BGH).

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Karlsruhe. Sollen europäische Energiefirmen auch weiterhin EU-Staaten vor privaten Schiedsgerichten verklagen können, wenn die Firmen sich durch staatliche Politik geschädigt sehen? Über diese komplexe Frage verhandelte der Bundesgerichtshof (BGH) am Mittwoch fast vier Stunden lang. Die Richter ließen eine klare Tendenz zugunsten der Staaten erkennen.

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Die drei verhandelten Fälle zeigten die ganze Bandbreite der Problematik. Zwei Mal geht es um Konzerne, die sich durch neue klimafreundliche Politik geschädigt sehen. Doch es gibt auch den umgekehrten Fall: Ein Windkraftunternehmen sieht sich durch neue restriktive Vorgaben ausgebremst.

Konkret klagen die deutschen Konzerne RWE und Uniper gegen die Niederlande, weil das Land bis 2030 aus der Kohleverstromung aussteigen will und den Eigentümern der Kohlekraftwerke (anders als in Deutschland) keine Entschädigung zahlt. RWE verlangt 1,4 Milliarden Euro Schadenersatz, Uniper mehrere Hundert Millionen Euro. Uniper, das in der Gaskrise vom deutschen Staat übernommen wurde, lässt das Verfahren derzeit auf Wunsch der Bundesregierung allerdings ruhen.

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Bekannteste Klage: Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg

Im dritten Verfahren klagt die irische Mainstream Renewables-Gruppe gegen Deutschland. Die Mainstream-Unternehmen wollten mehrere Offshore-Windparks in der Nordsee errichten, sahen sich jedoch durch den energiepolitischen Backlash der großen Koalition ab 2012 ausgebremst und verzichteten auf die Projekte. Die Gruppe verlangt von Deutschland 275 Millionen Euro Entschädigung für sinnlos gewordene Aufwendungen und entgangene Gewinne – plus 56 Millionen Euro Zinsen. Dass die Politik der aktuellen Ampelregierung wieder windkraftfreundlich ist, ändere nichts an den Ansprüchen.

Alle drei Firmen klagen vor ICSID-Schiedsgerichten der Weltbank, bei denen sich die Streitparteien auf private Schiedsrichter einigen, meist Rechtsprofessoren oder Anwälte. Der Weg zu den Schiedsgerichten führt über den Energiecharta-Vertrag. Dieser völkerrechtliche Vertrag, dem rund 50 Staaten beigetreten sind, war 1994 geschaffen worden, um Energieinvestitionen westlicher Konzerne in Osteuropa zu fördern. Unternehmen, die in den neuen Demokratien investierten, sollten darauf vertrauen können, dass sie nicht willkürlich enteignet oder sonst geschädigt werden. Streitfälle sollten nicht vor Gerichten in Ungarn und Kasachstan geklärt werden, sondern vor den neutralen ICSID-Schiedsgerichten.

Seither nutzen Konzerne den Energiecharta-Vertrag aber immer wieder auch zu Klagen gegen westeuropäische Staaten. Am bekanntesten wurde die Klage des schwedischen Unternehmens Vattenfall gegen den deutschen Atomausstieg. Im März 2021 erhielt Vattenfall aufgrund eines Vergleichs (ohne Schiedsurteil) 1,4 Milliarden Euro.

BGH findet Argumentation der Staaten offenbar überzeugender

Allerdings hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im September 2021 in seinem Komstroy-Urteil entschieden, dass Energiecharta-Schiedsverfahren mit EU-Recht unvereinbar sind, wenn EU-Staaten von Unternehmen aus anderen EU-Staaten verklagt werden. Der EuGH folgte damit seiner Linie aus dem Achmea-Urteil von 2018, mit dem er bilaterale Investorenschutzverträge zwischen zwei EU-Staaten für unzulässig erklärte. Dem EuGH geht es dabei vor allem um seine eigene Stellung; er will verhindern, dass private Schiedsgerichte das EU-Recht anders auslegen als er.

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Nun berufen sich auch Deutschland und die Niederlande auf die EuGH-Rechtsprechung, um die gegen sie eingeleiteten ICSID-Verfahren zu verhindern. Beide Staaten haben daher vor deutschen staatlichen Gerichten geklagt, um feststellen zu lassen, dass die konkreten ICSID-Schiedsverfahren unzulässig sind. Sie nutzen dabei eine Möglichkeit, die in Paragraf 1032 der deutschen Zivilprozessordnung geregelt ist. Die Konzerne halten diese Norm jedoch für nicht anwendbar, wenn es um ICSID-Schiedsgerichte geht. Die deutschen Gerichte urteilten bisher uneinheitlich. Das Kammergericht Berlin entschied zugunsten der Konzerne, das Oberlandesgericht Köln zugunsten der Staaten.

Nun muss der BGH entscheiden, was gilt. Der Vorsitzende BGH-Richter Thomas Koch ließ klar erkennen, dass sein Senat die Argumentation der Staaten überzeugender findet. Seit der EuGH die Schiedsklausel des Energiecharta-Vertrags bei Intra-EU-Verfahren für rechtswidrig erklärte, fehle die „Brücke“ zu den ICSID-Schiedsgerichten. Deren Autonomieanspruch komme dann nicht zum Tragen. Für die Konzerne warnte Rechtsanwalt Thomas Winter vor dem „verheerenden Eindruck“, den ein entsprechendes BGH-Urteil weltweit machen werde. „Was sagen wir dann, wenn staatliche Gerichte in Brasilien oder Chile ebenfalls die Schiedsgerichte aushebeln?“

Der BGH wird sein Urteil am 27. Juli verkünden.

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