Die Städte werden immer heißer: Was bedeutet das für unseren Arbeitsalltag?
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Flirrende Hitze: Über einen längeren Zeitraum gesehen erwärmen sich Innenstädte im globalen Schnitt weit schneller als benachbarte ländliche Gebiete.
© Quelle: Christoph Soeder/dpa
Hannover. Das Leben auf diesem Planeten wird heißer. Auch in Europa. Betroffen sind vor allem die großen Städte. Diese werden sich auf eine Erhöhung der Hitzetage von heute fünf auf bis zu 15 Tage jährlich bis zum Jahr 2050 einstellen müssen. Was für die Jüngeren noch attraktiv klingen mag, ist für den Rest der Bevölkerung eine enorme Belastung.
Hinzu kommen steigende Energiepreise aufgrund der durch den russischen Angriffskrieg beschleunigten Transformation zur Dekarbonisierung, also der Umgestaltung zu einer Wirtschaft, die möglichst wenig Kohlenstoff umsetzt. Drei Folgen hat der Klimawandel für die Beschäftigten und die Zukunft der Arbeit: Das Leben und Arbeiten jenseits der großen Städte und Metropolen wird attraktiver. Die Städte werden grüner und kühler. Drittens werden flexible Arbeitszeitmodelle zum neun Standard und grüne Jobs immer gefragter.
Einer neuen Studie der EU-Kommission zufolge kann der Temperaturunterschied zwischen den urbanen Hotspots und dem Umland bis zu 15 Grad ausmachen. Co-Working auf dem Land boomt bereits heute und wird immer mehr Städter zum Arbeiten raus aufs Land bewegen. Schnelles Internet auch auf dem Land macht hybrides Arbeiten im Homeoffice für alle möglich, Videokonferenzen ersetzen einen Großteil von Geschäftsreisen. Weniger Pendeln spart Zeit und ist gut für das Klima. Für die Jüngeren wird das Dorf beliebter als die Großstadt, wie eine Befragung des Verbands der privaten Bausparkassen 2021 zeigte. Immer mehr Unternehmen reagieren auf den Trend und siedeln sich jenseits der großen Städte an.
Vom Trend „raus aufs Land“ profitieren auch Genossenschaften. Sie erleben einen Gründungsboom und eine neue Nachfrage. Genossenschaften können Dienstleistungen rund um die Felder Wohnen, Einkaufen, Ernährung, Agrar, Mobilität und Energie im ländlichen Raum schnell und solidarisch bereitstellen und sind für die Kommunen bei der Daseinsvorsorge ein wichtiger Partner. Vom Trend des Co-Working profitieren ländliche Regionen mit Natur- und Freizeitwert besonders. Initiativen wie die „Urbanen Dörfer“ und „Coworkland“ verbinden Wohnen, Arbeiten und Gemeinschaft und schaffen neue Perspektiven. Die Schweizer Genossenschaft Village Office setzt sich dafür ein, dass jeder und jede innerhalb von 15 Minuten einen digitalisierten Co-Working-Space erreichen kann. Der ländliche Raum spielt beim Klimaschutz die entscheidende Rolle. Ohne den raschen Ausbau der dezentralen Solar- und Windenergie wird die Energiewende bis 2045 nicht zu schaffen sein.
Die Städte reagieren und werden grüner und kühler. Betroffen von der zunehmenden Hitze sind vor allem Ältere und Ärmere, die in verdichteten Lagen wohnen. Immer mehr Metropolen wie Mailand, Frankfurt und Paris reagieren mit Frischluftschneisen, Haus- und Dachbegrünung, Grüngürteln und natürlichen Kühlsystemen. Häuser werden künftig aus Holz gebaut, die Landwirtschaft macht sich auch in den Städten breit. In den südlichen Städten Europas wird das Arbeiten ohne Klimaanlage kaum noch zu ertragen sein. Smart Green Cities setzen daher auf intelligente Technologien, die Arbeit, Leben und Wohnen besser vereinbaren. Dachbegrünungen haben einen positiven Effekt auf das Stadtklima. Da sie Wasser aufnehmen können, entlasten begrünte Dächer bei Starkregenereignissen das Abwassersystem und wirken dämmenden gegen Lärm und gegen Hitzeverlust im Winter. Im Sommer können sie zum Teil Klimaanlagen ersetzen. Hervorragend kühlen Sumpfdächer: Wenn sich konventionelle Dächer an Hitzetagen auf 40 bis 70 Grad Celsius aufheizen, bleibt ein Sumpfdach mit 29 Grad Celsius vergleichsweise kühl. Urbane Hitzepläne, Frühwarnsysteme und hitzetaugliche Bürogebäude werden zum neuen Normal. Neubauten setzen bei Heizung und Kühlung auf Geothermie, auf Sonnenschutz an den Fassaden sowie nachhaltige Regenwasserbewirtschaftung und Wasser, das für ein gutes Mikroklima sorgt.
Flexible Arbeitszeitmodelle werden zum Standard, es kommt zu einem Boom grüner Jobs. Das starre Nine-to-five-Modell wird dem Klimawandel als erstes zum Opfer fallen. Wir werden früher anfangen zu arbeiten, längere Mittagspausen machen und abends, wenn es kühler wird, weiterarbeiten. Die wenigen Glücklichen mit Klimaanlage werden auf die Mittagspause verzichten, um abends mehr Zeit zu haben. Die Corona-Pandemie hat die Arbeitszeiten radikal verändert. Neue Modelle wie die Vier-Tage-Woche, Jobsharing und kürzere Arbeitszeiten in Stressberufen entlasten Beschäftigte und das Klima. Warum nicht im heißen Sommer weniger, dafür im kalten Winter länger arbeiten?
Die „kurze Vollzeit“ mit 30 Wochenarbeitsstunden wird immer beliebter und zum Mainstream vor allem in der Industrie. Die Produktivität der Beschäftigten sinkt dabei nicht, sondern nimmt sogar zu, zeigen Untersuchungen aus Großbritannien. Der Kampf gegen den Klimawandel wird zu einem neuen Jobmotor. „Grüne Arbeitsplätze haben Zukunft“ verkündet die IG Metall. Es entstehen mehr Jobs durch die Transformation als verloren gehen. Ökologisches, verantwortliches Konsumieren und Arbeiten steht vor allem bei den Millennials, den um die Jahrtausendwende Geborenen, hoch im Kurs. Darauf müssen sich auch die Unternehmen einstellen. Studien zufolge sind ökologisch und sozial nachhaltige Unternehmen über die gesamte Wertschöpfungskette erfolgreicher als ihre Konkurrenz. Immer mehr Unternehmen setzen daher auf grüne Technologien und Talente.
Die Anpassung an den Klimawandel wird die Arbeitswelt radikal verändern. Arbeitende werden flexibler und freier arbeiten. Die Veränderungen werden uns einiges abverlangen, das Leben und Arbeiten in Zeiten der Klimakrise wird für alle anstrengender. Wir haben dennoch mehr zu gewinnen als zu verlieren: unsere gemeinsame Zukunft.
Das ist Daniel Dettling
Dr. Daniel Dettling ist Zukunftsforscher und leitet das von ihm gegründete Institut für Zukunftspolitik. Sein aktuelles Buch: „Eine bessere Zukunft ist möglich. Ideen für die Welt von morgen“ (Kösel). Der Text erscheint in der Oktoberausgabe der Zeitschrift „Kommunal“.